5. Gewerkschaften

February 23rd, 2024 Leave a comment Go to comments

Die Gewerkschaften sind die im Weltkapitalismus vorherrschende Organisationsform des reproduktiven Klassenkampfes. Reproduktive Klassenkampforganisationen können nur den Vermietungspreis der Arbeitskraft, die Löhne, aber nicht das Lohnsystem überwinden. Sie können die Bedingungen der Ausbeutung verbessern (Kürzung der Arbeitszeit, mehr Urlaub, Bezahlung von Krankentagen, Verringerung der Arbeitsintensität, Mindeststandards beim Personal…), aber diese nicht grundsätzlich aufheben. Letzteres ist die Aufgabe der revolutionären Klassenkampforganisation des Proletariats, die sich nur in und mit der möglichen sozialen Revolution herausbilden können (siehe Kapitel V.3). Solange der Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus geführt wird, sind nur reproduktive Klassenkampforganisationen möglich. Diese müssen sich vollständig an die reproduktiven Grenzen des Klassenkampfes anpassen, sonst können sie ihn nicht organisieren und führen. Anders die sozialrevolutionäre Minderheit der Lohnabhängigen. Diese nehmen selbstverständlich am Klassenkampf teil, ohne sich an dessen reproduktiven Grenzen anzupassen. Sie wollen nicht den reproduktiven Klassenkampf führen oder organisieren, sondern mithelfen ihn zu radikalisieren – über die den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen hinaus. Ständige reproduktive Klassenkampforganisationen mit zu organisieren, heißt dagegen zwangsläufig sich opportunistisch an Kapital, Staat und das sozialreformistische Klassenbewusstsein der Mehrheit des Proletariats anzupassen.

Zu Beginn der kapitalistischen Produktionsweise verbot der Staat total den Streik und diesen organisierenden und führenden Gewerkschaften. Im Geburtsland des modernen Industriekapitalismus, in England, gab es schon recht früh Gewerkschaften. Die früheste war die Free Journeymen Printers von 1666. Bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein waren in England Gewerkschaften durch das Koalitionsverbot illegalisiert. Deshalb tarnten sie sich oft als „Unterstützungskassen“, um sich vor der polizeilichen Verfolgung zu schützen. Das Koalitionsverbot fiel im Jahre 1825.

Der reproduktive Klassenkampf und die Gewerkschaften erkämpften sich einerseits selbst die Legalität, andererseits war dies das Ergebnis einer kapitalistischen Modernisierung. In einer Gesellschaft, die auf Ausbeutung beruht, ist es unmöglich, den Klassenkampf vollständig zu unterdrücken. Diese Versuche dazu im frühen Industriekapitalismus waren doch etwas zu grobschlächtig. Indem der bürgerliche Staat unter bestimmten Voraussetzungen die Arbeitsniederlegung erlaubte, und die sich entwickelnden Gewerkschaften in die Einzel- und Nationalkapitale integrierte, konnte er die reproduktiven Grenzen des Klassenkampfes viel besser setzen und verteidigen, als durch ein absolutes Verbot.

Nach der Legalisierung der Gewerkschaften bildeten diese auch rasch bürgerlich-bürokratische Apparate aus hauptamtlichen FunktionärInnen und OrganisationsbeamtInnen heraus. Es dauerte allerdings noch eine ganze Weile bis die Einzelkapitale die Gewerkschaften als Verhandlungspartner anerkannten. Der Staat schuf mit seinen Gesetzen den Handlungsrahmen für das Agieren der Gewerkschaften. Deshalb waren und sind die meisten Gewerkschaften absolut staatstragend, wenn sie sich teilweise auch durch eine radikale „antikapitalistische“ Ideologie – „Sozialismus“, „Kommunismus“ und „Anarcho“-Syndikalismus“ (siehe zu letzterem weiter unten in diesem Kapitel) – schmücken.

Die einzelnen Gewerkschaften der verschiedenen kapitalistischen Nationen schlossen sich zu großen Zentralverbänden zusammen. In den USA gründete sich zum Beispiel 1886 die American Federation of Labor (AFL). Das war eine sehr berufsständische Organisation, deren Einzelorganisationen oft nur FacharbeiterInnen aufnahmen. Gegen diese eindeutig reformistische AFL gründete sich 1905 die wesentlich radikalere Industrial Workers of the World (IWW). Diese organisierte alle Lohnabhängige des kapitalistischen Produktionsprozesses, unabhängig von ihrer Qualifikation. So organisierten sich dann auch in der IWW die auf nationalistisch-rassistische und patriarchal-sexistische Weise besonders ausgebeutete und unterdrückte Teile des US-amerikanischen Proletariats: MigrantInnen, Frauen und niedrig qualifizierte MassenarbeiterInnen. Die IWW war eine sehr radikale Gewerkschaft, aber auch sie war nicht revolutionär. Das konnte sie auch nicht sein, weil Gewerkschaften nun mal nur einen reproduktiven Klassenkampf führen können. Und das tat die IWW auf sehr radikale Weise. Vielleicht können zukünftig die radikalsten Basisgewerkschaften ohne bürgerlich-bürokratische Apparate in einer revolutionären Situation (siehe Kapitel V.1) in der revolutionären Klassenkampforganisation des Proletariats aufgehen. Aber nur, indem sie sich selbst als Gewerkschaften, also als Organe des reproduktiven Klassenkampfes, auflösen. Das werden nur die wenigsten schaffen, wenn überhaupt. Die großen Gewerkschaftsapparate sind solche reaktionären Hindernisse, die nur durch das sich möglicherweise selbst revolutionär aufhebende Proletariat zerschlagen werden können.

Der AFL unterstützte zum Beispiel den Ersten und den Zweiten Weltkrieg des US-Imperialismus. Während des ersten großen globalen kapitalistischen Abschlachtens handelte die AFL mit Washington ein Deal aus: Verzicht auf Streiks für den Achtstundentag. Die IWW war gegen den Kriegseintritt der USA im Jahre 1917, hielt sich aber in der Antikriegsagitation zurück. Doch der US-Imperialismus nutzte das imperialistische Abschlachten, um die IWW als radikale Massengewerkschaft zu zerschlagen. Im Jahre 1917 hatte die IWW ihren Höhepunkt mit 100.000 Mitgliedern erreicht. Die Repression des US-Imperialismus traf sie mit voller Wucht. So wurden in Chicago zehntausende IWW-Mitglieder in Massenprozessen zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Auch ließ das US-Regime führende AktivistInnen dieser radikalen Gewerkschaft ermorden. Nach dieser brutalen Repression blieben nur noch Reste von der IWW übrig.

Aber der Klassenkampf ging auch in den USA weiter. Besonders in den 1930er Jahren organisierten die gering qualifizierten MassenarbeiterInnen vor allem in der Automobilindustrie wilde Streiks, also von den Gewerkschaften unabhängige Arbeitsniederlegungen. Wir erinnern uns, dass die meisten AFL-Gewerkschaften nur qualifizierte FacharbeiterInnen aufnahmen. Die gering qualifizierten MassenarbeiterInnen hingen also nicht an der Gewerkschaftskette. Das versuchten weitsichtige ModernisiererInnen sowohl innerhalb der Bourgeoisie als auch innerhalb der Gewerkschaftsbonzokratie zu verändern, indem sie im Jahre 1935 den Congress of Industrial Organizations (CIO) gründeten. Der CIO war ein Verband von Industriegewerkschaften, die alle Lohnabhängigen, also auch die niedrigqualifizierten MassenarbeiterInnen, aufnahm. Während des Zweiten Weltkrieges standen sowohl AFL als auch CIO fest auf der Seite des US-Imperialismus. Im Jahre 1955 vereinigten sich beide zum AFL-CIO. Ein durch und durch sozialreaktionärer Gewerkschaftsapparat, der auch den Vietnamkrieg Washingtons unterstützte.

Zwischen bürgerlich-bürokratischen Gewerkschafts-Apparaten, wie zum Beispiel dem AFL-CIO, der total in die nordamerikanischen Nationalkapitale USA und Kanada integriert ist, und der lohnabhängigen Basis besteht ein absoluter Klassengegensatz. Dieser kommt bereits im reproduktiven Klassenkampf zum Ausdruck. Besonders in Form von wilden Streiks. Am stärksten entfalteten die sich bisher am Ende des kapitalistischen Nachkriegsaufschwunges in Westeuropa und in Nordamerika, am Ende der 1960er und am Anfang der 1970er Jahre, im proletarischen 1968. In wilden Streiks kommt die klassenkämpferische Selbstorganisation der Lohnabhängigen gegen Kapital, Staat und Gewerkschaftsbonzokratie zum Ausdruck – sowohl in unsichtbar-informeller als auch in sichtbar-offizieller Form, zum Beispiel in gewerkschaftsunabhängigen Streikkomitees. Bleibt der Klassenkampf jedoch im Rahmen des Kapitalismus kann auch die klassenkämpferische Selbstorganisation in Form von wilden Streiks nur innerhalb reproduktiver Schranken erfolgen. Wenn das klassenkämpferische Proletariat im Rahmen des Kapitalismus bleibt, dann kann es sich im besten Falle zu Tode siegen. So blieb das proletarische 1968 trotz starker revolutionärer Tendenzen besonders in Frankreich und Italien in den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen, drückte aber gewaltig auf die Mehrwert- und Profitraten. Auf diese Weise trug das klassenkämpferische Proletariat mit dazu bei, dass der westeuropäische und nordamerikanische Kapitalismus in die strukturelle Profitproduktionskrise geriet. Diese führte zu einer strukturellen Massenarbeitslosigkeit und zu veränderten Kräfteverhältnissen zu Ungunsten der Lohnabhängigen, was die Bourgeoisie zur „neoliberalen“ Offensive im Klassenkampf von oben nutzte (siehe Kapitel I.10).

Fazit: Innerhalb des reproduktiven Klassenkampfes können nur ansatzweise Alternativen zu den Gewerkschaften in Form von informeller Organisation und unabhängigen Streikkomitees entstehen. Nur wenn der Klassenkampf seine reproduktiven Grenzen sprengt, kann er auch revolutionäre Organisationen hervorbringen, die die reaktionären Gewerkschaftsapparate zerschlagen können und müssen.

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In Westdeutschland/der BRD bildete sich nach 1945 ein Viereck aus demokratischem Streikrecht, dem Tarifvertragssystem, Gewerkschaftsapparaten und gesetzlich-sozialreformistischen Betriebs- und Personalräten, in denen der Klassenkampf effektiv reproduktiv eingesperrt ist. Dieses System der Befriedung des Klassengegensatzes wurde nach der friedlichen Annexion Ostdeutschlands durch die BRD auch auf dieses Gebiet erfolgreich übertragen.

Das demokratische Streikrecht der BRD erklärt alle Arbeitsniederlegungen, die nicht von den Gewerkschaften organisiert werden, für illegal. Die Gewerkschaften werden von ihrer zentralen Bürokratie beherrscht. Hauptamtliche Gewerkschaftsbonzen gehören sozial nicht zum Proletariat. Das demokratische Streikrecht der BRD gibt also einer bürgerlichen Bonzenschicht die Kontrolle über die Hauptwaffe des proletarischen Klassenkampfes, die Arbeitsniederlegung. Dies ist ein gewaltiger Angriff auf die wichtigste revolutionäre Tendenz des reproduktiven Klassenkampfes: die Selbstorganisation des Proletariats. Auch die Gewerkschaftsbürokratie darf in Deutschland nur zu Ausständen aufrufen, die Ziele verfolgen, die in einem Tarifvertrag zwischen Gewerkschaften und den Kapitalverbänden – es sind aber auch Haustarifverträge zwischen Einzelkapitalen und Gewerkschaften möglich – münden können. In Tarifverträgen werden wichtige Arbeits- und Lebensbedingungen wie zum Beispiel die Höhe des Lohnes, die Arbeitszeit und die Anzahl der Urlaubstage geklärt. Durch die staatsrechtlich gewährte Tarifautonomie werden die bürgerlichen Gewerkschaftsapparate zu Co-Managerinnen von Kapitel und Staat. Das Tarifvertragssystem, welches die kapitalistische Ausbeutung der Lohnarbeit zur Grundlage hat, ist eine effektive Zwangsjacke für den proletarischen Klassenkampf.

Der bundesdeutsche Staat schützt sich als Gesetzgeber besonders effektiv gegen den proletarischen Klassenkampf. In der BRD gelten „politische“ Streiks als illegal. Damit sind machtvolle branchenübergreifende Arbeitsniederlegungen gegen den politischen Gewaltapparat in Deutschland verboten. Lediglich gegen den Staat als „Arbeitgeber“ im öffentlichen Dienst sind Ausstände legal. Allerdings nur für die Angestellten, die BeamtInnen dürfen auch nicht streiken. Der größte Gewerkschaftsverband, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ist viel zu gesetzestreu, um auch nur auf die Idee zu kommen, sich das „politische“ Streikrecht und das der BeamtInnen durch Arbeitsniederlegungen zu erkämpfen. Das demokratische Streikrecht und das Tarifvertragsrecht schützen die deutsche Bourgeoisie effektiver gegen den proletarischen Klassenkampf, als es ein totales Verbot von Arbeitsniederlegungen je tun könnte.

Das demokratische Streikrecht, die staatlich gewährte Tarifautonomie und tief in die Einzel- sowie in das Nationalkapital integrierte Gewerkschaftsapparate verniedlichen den Klassenkampf zur „Tarifauseinandersetzung“. Die kapitalismusreproduzierenden Grenzen der Klassenauseinandersetzung zwischen Bourgeoisie und Proletariat werden in Beton gegossen. Der größte Teil der Tarifauseinandersetzungen finden am Verhandlungstisch, an dem die VertreterInnen der Kapitalverbände und des Staates (öffentlicher Dienst) auf der einen und die Gewerkschaftsbonzen auf der anderen Seite sitzen, statt. Für die GewerkschaftsfunktionärInnen ist allein die Tatsache, dass die Bourgeoisie sie durch Tarifverträge zu Co-ManagerInnen der kapitalistischen Ausbeutung macht, sehr entscheidend. Sie sind deshalb in der Regel zu großen Zugeständnissen auf Kosten der lohnabhängigen Gewerkschaftsbasis bereit. Allerdings übt die letztere auch einen gewissen Druck auf die Gewerkschaftsbürokratie aus. Für die lohnabhängige Basis ist im Gegensatz zu den Gewerkschaftsbonzen, die selbst zu den von ihnen ausgehandelten Tarifen nicht leben müssen, sehr wichtig was in den Verträgen konkret drinsteht. Die Kapital- und StaatsvertreterInnen zähmen mit Hilfe des Tarifvertragssystems und der Gewerkschaftsapparate das klassenkämpferische Proletariat. Sie wollen an Lohnkosten sparen. Deshalb verhandeln die VertreterInnen von Kapital und Staat in der Regel härter als die GewerkschaftsfunktionärInnen.

Bereits während der Verhandlungen finden in Deutschland Warnstreiks statt. Zu denen mobilisiert die Gewerkschaftsbürokratie die lohnabhängige Basis. Die erstere nutzen die lohnabhängige Basis, um Druck auf ihre VerhandlungspartnerInnen auszuüben. Reicht das nicht und wird kein Ergebnis am Verhandlungstisch erreicht, den die Bonzen „ihrer“ Basis als „Erfolg“ verkaufen können, dann lässt die zentrale Gewerkschaftsbürokratie in der Regel Urabstimmungen über einen unbefristeten Streik organisieren. Darin muss sich dann die Mehrheit der Gewerkschaftsbasis für den Klassenkampf aussprechen. Manchmal unterlassen Gewerkschaften aber auch die Urabstimmungen, wie zum Beispiel die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) beim Poststreik von 2015. Das tat die Verdi-Bonzokratie, um diesen Streik auch ohne Urabstimmung wieder beenden zu können. Die Gewerkschaftsdemokratie ist also wie die parlamentarische im Gesamtstaat reine Stimmenarithmetik. Sie verkörpert die Herrschaft des bürgerlich-bürokratischen Apparates über die lohnabhängige Basis.

Beim gewerkschaftlich geführten Streik benutzt der Apparat die klassenkämpferische Basis um auf die Kapital- und StaatsvertreterInnen Druck auszuüben, um sie zu Zugeständnissen im Tarifvertragsgeschäft zu bewegen. Dazu ist er zur beschränkten Mobilisierung der klassenkämpferischen Lohnabhängigen bereit. Diese wiederum nutzen die Gewerkschaften, um legal für ihre Interessen streiken zu können. Der Gewerkschaftsapparat passt während einer von ihm organisierten Arbeitsniederlegung auf, dass sich das klassenkämpferische Proletariat auch ja „schön“ an die bürgerlichen Gesetze – das Recht der Bourgeoisie! – hält. Die lohnabhängige Basis einschließlich der ehrenamtlichen FunktionärInnen strebt im Klassenkampf tendenziell zu radikaleren Aktionen als die hauptamtliche Gewerkschaftsbonzokratie. So entwickelt sich bereits in gewerkschaftlich kontrollierten Streiks – besonders in länger andauernden – die Doppelherrschaft aus der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats auf der einen und der Gewerkschaftsapparate auf der anderen Seite. In Deutschland zahlen die Gewerkschaften während der Arbeitsniederlegung an ihre Mitglieder – und nur an diese! – Streikgeld. Dieses ist ein gewaltiges Druckmittel der Gewerkschaftsbonzen gegen die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats! Wenn im Kampf Lohnabhängige zu radikaleren Aktionen streben, drohen die Gewerkschaftsapparate damit, bestimmten Streiks die gewerkschaftliche Unterstützung zu entziehen. So geschah dies zum Beispiel während des Ausstandes bei Neupack 2012/2013, in dem die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) genau mit dieser Drohung die klassenkämpferische Belegschaft disziplinierte.

Da die hauptamtlichen Gewerkschaftsbonzen selbst nicht zu den von ihnen ausgehandelten Tarifen arbeiten und leben müssen, ein Streik aber den Apparaten viel Geld kostet, sind sie relativ schnell dabei, eine Arbeitsniederlegung zu beenden. Das klassenkämpferische Proletariat wiederum fühlt selbst in gewerkschaftlich gebremsten Ausständen seine Kraft. Außerdem muss es materiell die faulen Kompromisse beim Tarifschacher ausbaden. Erzielen die Gewerkschaftsapparate mit den VertreterInnen von Kapital oder Staat ein Verhandlungsergebnis, dann müssen die ersteren die klassenkämpferische Basis wieder erfolgreich demobilisieren können. Das geschieht mit den Mitteln der Gewerkschaftsdemokratie, mit der Urabstimmung über das Ergebnis der Tarifverhandlung. Bei der Industriegewerkschaft Metall (IG M) reicht aus, wenn nur eine Minderheit der Basis von 25 Prozent für den jeweiligen Tarifschacher der Bonzen stimmt. Auch wird bei der Urabstimmung das klassenkämpferische Kollektiv in jeweils getrennt voneinander abstimmende Individuen zerstückelt. So kommt es, dass die Mechanismen der Gewerkschaftsdemokratie meistens für die notwendigen Zahlen sorgen, um den Tarifschacher erfolgreich beenden zu können. Gerade die Demobilisierung der klassenkämpferischen Basis am Ende des Tarifschachers sorgt nicht selten für Unmut bei radikalisierten Lohnabhängigen. Viele denken dann, dass bei einem längeren Streik ein für sie besseres Ergebnis herausgekommen wäre.

Manchmal gelingt es auch dem klassenkämpferischen Proletariat die Gewerkschaftsbonzen vor sich her zu treiben. So war das zum Beispiel beim Streik in der Metallindustrie von Schleswig-Hollstein im Jahre 1956 für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die IG-Metall-Bonzen versuchten den Streik mehrere Male zu beenden. Doch die klassenkämpferische Basis stimmte zwei Mal gegen den Tarifschacher der Apparate. Jedes Mal musste nachverhandelt werden. Beim dritten Mal stimmte zwar immer noch eine Minderheit für die Annahme des Ergebnisses der Tarifverhandlungen, aber nach der IG-Metall-Demokratie reichte diese aus, damit die FunktionärInnen den Streik beenden konnten.

Auch wenn es manchmal in Tarifkonflikten der Gewerkschaftsbasis gelingt, erheblichen Druck auf die bürgerlich-bürokratischen Apparate auszuüben, letztendlich bestimmen die Bonzen das Tarifgeschäft, sie werden durch dieses zu Co-ManagerInnen von Kapital und Staat, während die Lohnabhängigen Ausbeutungsobjekte bleiben. Während der jeweiligen Laufzeit eines Tarifvertrages herrscht Friedenspflicht, das heißt, dass die den Tarifvertrag unterzeichnende Gewerkschaft während dieser Zeit nicht zu Streiks aufrufen darf. Außerdem ist die Gewerkschaftsbürokratie in ihrem Tarifvertragsgeschäft auch zu Öffnungsklauseln, wodurch Einzelkapitale unter bestimmten Bedingungen von den Flächentarifverträgen ihrer Branche abweichen können, bereit. Mit Hilfe des Tarifvertragssystems und der in das Nationalkapital integrierten Gewerkschaftsapparate gelingt es der Bourgeoisie den proletarischen Klassenkampf erheblich zu zähmen. Allerdings muss sie dafür auch einen materiellen Preis zahlen. In Betrieben, in denen ein Tarifvertrag existiert, sind die Löhne und Gehälter durchschnittlich höher als in solchen, wo keine existieren. Gerade mit zunehmender Krisendynamik wollen deshalb immer mehr Einzelkapitale auf das Co-Management der Gewerkschaftsapparate verzichten und die Arbeitsbedingungen lieber eigenmächtig festlegen. So arbeiteten im Jahre 2018 in der BRD nur noch 46 Prozent der Lohnabhängigen in Unternehmen, die an Tarifverträge mit Gewerkschaften gebunden waren.

Dabei sind die Gewerkschaftsbonzen durchaus grundsätzlich dazu bereit, in ihrem Tarifvertragsschacher die Arbeits- und Lebensbedingungen des Proletariats unter das gesetzlich geregelte Maß zu drücken. Hauptsache, die Bourgeoisie erkennt sie als Co-ManagerInnen der kapitalistischen Ausbeutung an. Auch die Leiharbeitsbranche weiß, was es am DGB hat. Während das staatliche Gesetz es vorsah, ab September 2018 die Höchstüberlassungsdauer der LeiharbeiterInnen in den Entleihfirmen auf 18 Monate zu begrenzen, gab es im Mai 2019 109 Tarifverträge mit den Gewerkschaften, die eine Ausdehnung auf 24 und teilweise bis 120 Monate vorsahen.

Neben dem Tarifvertragssystem sind die Gewerkschaftsbürokratien in der BRD auch durch die kapitalistische Wirtschafts- und Arbeitsdemokratie in viele Einzelkapitale und in das deutsche Nationalkapital integriert. Kapitalistische Wirtschaftsdemokratie bedeutet, dass die Gewerkschaftsbonzen in den Aufsichtsräten großer Konzerne sitzen. Gerade hier wird der Charakter der Gewerkschaften als Co-Managerinnen des Kapitals besonders deutlich. Die kapitalistische Arbeitsdemokratie ist in der BRD durch Betriebs- und Personalräte (letztere im öffentlichen Dienst) verkörpert. Diese sind gesetzlich dem „Betriebsfrieden“, also der nur ideologisch existierenden „Sozialpartnerschaft“ aus Kapital und Lohnarbeit verpflichtet. Sie dürfen auch nicht zu Streiks aufrufen.

Die Betriebs- und Personalräte sind Parlamente der Lohnabhängigen, in denen sich Gewerkschaftslisten und alternative oder unabhängige Listen um dessen Sitze streiten. Die meisten von ihnen werden aber von den DGB-Gewerkschaften dominiert. Sie haben als Organe der kapitalistischen Arbeitsdemokratie abgestufte Mitbestimmungsrechte im Betrieb. Betriebs- und Personalräte sind also objektiv Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit. Die kapitalistische Arbeitsdemokratie schürt im Proletariat das StellvertreterInnen-Denken a la „Betriebsrat, mach das mal für mich“, den Legalismus und den Sozialreformismus. Der Legalismus der kapitalistischen Arbeitsdemokratie schürt bei den Lohnabhängigen die Illusion, sie müssten nicht knallhart – auch mit illegalen Methoden – für ihre eigenen Interessen kämpfen, sondern sie bräuchten nur die Betriebs- und Personalräte wählen, die das dann für sie stellvertretend machen sollen. Objektiv sind die Betriebs- und Personalräte sozialreaktionär, weil sie die Lohnabhängigen in die kapitalistische Arbeitsdemokratie integrieren. Sie sind auch korrumpierend. Durch die legalen und illegalen Privilegien der Betriebs- und Personalräte gegenüber „normalen“ Lohnabhängigen verwandeln sich ursprünglich subjektiv-ehrliche proletarische KlassenkampfaktivistInnen in abgehobene Bonzen.

Subjektiv sind die objektiv-strukturell sozialreaktionären Betriebs- und Personalräte sehr unterschiedlich. Viele Betriebsräte gerade von Großbetrieben sind auch subjektiv totale Co-ManagerInnen der kapitalistischen Ausbeutung. Besonders deutlich wird dies bei „betrieblichen Wettbewerbsbündnissen“ zwischen den Wirtschaftskapitänen und den Betriebsräten. In ihnen erklären sich die Betriebsräte für in der Regel sehr verschwommene und unverbindlich gehaltene Zusagen des kapitalistischen Managements in einem bestimmten Zeitraum keine betriebsbedingten Kündigungen vorzunehmen, keine Standorte zu schließen oder für bestimmte Produktlinien an bestimmten Orten zu „Zugeständnissen“ der Lohnabhängigen in Form von Lohneinbußen oder verschlechterte Arbeitsbedingungen bereit. Also für das wage Zugeständnis der Bourgeoisie, dass die kapitalistische Ausbeutung in einem bestimmten Betrieb weitergeht, sind die Betriebsräte bereit dazu, diese mit zu verschärfen. In diesen „betrieblichen Wettbewerbsbündnissen“ kommt der sozialreaktionäre Charakter der Betriebsräte als Co-ManagerInnen der kapitalistischen Ausbeutung unverblümt zum Ausdruck. In ihnen wird auch das ganze Ausmaß des produktiven und „unproduktiven“ Elends des Proletariats deutlich. Das produktive Elend der Lohnarbeit ist allumfassend, aber das materielle und psychisch-mentale Elend der für das Kapital „unproduktiven“ Erwerbslosigkeit wird von vielen ProletarierInnen als noch drückender wahrgenommen. Aufgrund dessen sind viele Lohnabhängige zu materiellen Zugeständnissen zum mehr als unsicheren Erhalt des Ausbeutungsplatzes bereit. So verstärkt das kapitalistische Management mit Hilfe von Betriebsräten die Ausbeutung – und meistens werden auch weiterhin Arbeitsplätze abgebaut.

Auf der anderen Seite gibt es subjektiv-ehrliche klassenkämpferische Betriebs- und Personalräte, die versuchen in den objektiv-strukturell sozialreaktionären Organen der kapitalistischen Arbeitsdemokratie das Beste für die Belegschaft herauszuholen. Und das ist eben nicht sehr viel. Für dieses Wenige reproduzieren sie subjektiv die objektiv sozialreaktionäre kapitalistische Arbeitsdemokratie, ihre StellvertreterInnenideologie, ihren Legalismus und ihren Sozialreformismus aktiv mit. Subjektiv klassenkämpferische Betriebs- und Personalräte drohen im sozialreformistischen Kleinklein der kapitalistischen Arbeitsdemokratie zu ertrinken.

Auf der anderen Seite wollen viele Einzelkapitale auf die Betriebsräte als Organe der „Mitbestimmung“ verzichten und lieber ohne die Co-ManagerInnen alleine in ihrem Betrieb entscheiden. Sie gehen in Form von Versetzungen und Entlassungen gegen Betriebsräte vor. Auch wenn diese einzelkapitalistischen Repressionen vor den Arbeitsgerichten oft keinen Bestand haben – der deutsche Staat strebt ja als ideeller Gesamtkapitalist die Integration der Lohnabhängigen in die kapitalistische Arbeitsdemokratie an –, zermürben sie die KollegInnen psychisch-mental, nicht selten geben sie auf und verlassen den Betrieb. Im Jahre 2018 arbeiteten nur noch 41 Prozent der Lohnabhängigen in einem Betrieb, in der es ein Betriebsrat gab. 2009 waren es noch 44 Prozent gewesen.

Der Parteimarxismus – außer dem Linkskommunismus (siehe Kapitel III.5) – schürt gefährliche Illusionen in die Gewerkschaften. Die Linkssozialdemokratie, der Marxismus-Leninismus und der Trotzkismus versuchen Einfluss auf die Gewerkschaftsbürokratie zu bekommen, indem sie ihre AktivistInnen in deren ehren- und hauptamtliche Funktionen platzieren. Damit hilft der Parteimarxismus dabei, ursprünglich subjektiv-ehrliche proletarische KlassenkampfaktivistInnen in die objektiv reaktionären Gewerkschaftsapparate zu integrieren. Auch nimmt der Parteimarxismus – außer dem Linkskommunismus – an der kapitalistischen Arbeitsdemokratie teil. Parteimarxistische AktivistInnen lassen sich entweder auf den offiziellen Gewerkschaftslisten oder auf oppositionell-alternativen Listen passiv in die Betriebs- und Personalräte hineinwählen. Damit stärken sie objektiv die sozialreaktionäre kapitalistische Arbeitsdemokratie und die von dieser produzierten Ideologien wie Legalismus, StellvertreterInnentum und Sozialreformismus. Linkssozialdemokratie, Marxismus-Leninismus und Trotzkismus passen sich auch an das sozialreformistische Mehrheitsbewusstsein des Proletariats an.

Proletarische RevolutionärInnen nehmen bewusst am Klassenkampf teil, ohne sich an dessen reproduktiven Grenzen und die von diesen erzeugten sozialreformistischen Ideologien anzupassen. Sie streiken für höhere Löhne, weil sie selbst auch das Geld brauchen, machen aber deutlich, dass, um das Elend des Proletariats grundsätzlich aufzuheben, die Überwindung der Warenproduktion, der Politik und der Lohnarbeit notwendig ist. Proletarische RevolutionärInnen bekämpfen konsequent die sozialreformistische Ideologie der Geldumverteilung. Diese kommt in dem unglaublich dämlichen Spruch zum Ausdruck: „Geld ist genug da, es ist nur in den falschen Händen.“ Total falsch! Geld ist im Kapitalismus dazu da, um es in den Händen der Bourgeoisie grenzenlos und unaufhörlich weiter zu vermehren. Wenn das Proletariat sein produktives und „unproduktives“ Elend aufheben will, muss es die Ware-Geld-Beziehung überwinden. Das bisschen Geld, was durch reproduktiven Klassenkampf von der Bourgeoisie zum Proletariat umverteilt werden kann, hebt dessen Hauptzweck nicht auf und kann auch die Ausbeutung und Entfremdung der unmittelbaren ProduzentInnen vom Produktionsprozess nicht aufheben. Proletarische RevolutionärInnen kämpfen mit für höhere Löhne, sie haben aber in den gewerkschaftlichen Tarifkommissionen, die das Lohnsystem mit verwalten, nichts zu suchen. Sie nutzen die objektiv-subjektive Radikalisierung des Proletariats im und durch Klassenkampf, um zu betonen, dass zur Beseitigung des proletarischen Elends das Lohnsystem wegmuss.

Proletarische RevolutionärInnen legen die Arbeit mit dafür nieder, um die Arbeitszeit zu verkürzen, weil sie die freie Zeit genau wie ihre KollegInnen und Klassengeschwister bitter nötig haben, machen aber gleichzeitig deutlich, dass jede Minute Lohnarbeit eine zu viel ist! Sie wenden sich konsequent gegen das Geschwätz von Gewerkschaftsbonzen über „gute Arbeit“ im Rahmen des Kapitalismus. „Gute Arbeit“ kann es für Lohnabhängige als Ausbeutungsobjekte, die von sich selbst, den Produktionsmitteln und den gesamten Produktionsprozess entfremdet sind, grundsätzlich nicht geben! Das bisschen Erleichterung der Arbeits- und Lebensbedingungen, das durch Klassenkampf – auch und gerade durch dessen konspirativ-illegale Formen, die die Gewerkschaftsbonzen nicht organisieren können und wollen – erreichbar ist, vermag es nie und nimmer den Durst und den Hunger nach Leben zu stillen! Proletarische Arbeitszeit zum Beispiel für die Zerstörungsmittel der imperialistischen Armeen ist verlorene Zeit! Und was machen die Gewerkschaftsapparate? Dieses miese NationalistInnenpack setzt sich für den deutschen Rüstungsstandort ein! Jede Sekunde Lohnarbeit ist eine zu viel!

Proletarische RevolutionärInnen nutzen im Einzelfall die Betriebs- und Personalräte von außen, um ihre individuellen und kollektiven Interessen durchzusetzen. Aber sie stehen grundsätzlich praktisch-geistig der kapitalistischen Arbeitsdemokratie feindlich gegenüber. Sie wollen den Laden nicht „mitbestimmen“, sondern kaputt hauen! Deshalb haben sie innerhalb der Organe der kapitalistischen Arbeitsdemokratie nichts zu suchen, auch wenn sie wissen, dass der Kampf gegen den Kapitalismus auf jeden Fall noch sehr lange dauern und vielleicht niemals siegreich verlaufen wird. Sie stellen der kapitalistischen Arbeitsdemokratie ganz praktisch schon hier und heute die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats gegenüber. Illegal-konspirativer Klassenkampf statt Legalismus und „Betriebsfrieden“! Kollektive Selbstaktivität statt Delegierung der Interessen auf Betriebs- und Personalräte! Nieder mit dem demokratischen Stimmzettelfetischismus, der in der Gesamtgesellschaft Politbonzen und in den Großkonzernen Betriebsratsfürsten ermächtigt. Nieder mit Herrschaftsmechanismen, statt diese als Stimmvieh zu legitimieren!

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Der Anarchosyndikalismus behauptet, er könne und werde „revolutionäre Gewerkschaften“ aufbauen. Weiter oben haben wir die Gewerkschaften als Organisationsformen des reproduktiven Klassenkampfes analysiert. Der Anarchosyndikalismus kann also nur den Kapitalismus reproduzierende Organisationen aufbauen. Und das tat und tut er auch. Er passte und passt sich in der Realität an das Tarifvertragssystem und die gesetzlich-sozialreformistischen Betriebs- und Personalräte an. Der Anarchosyndikalismus wurde eindeutig zu einer Strömung des globalen Gewerkschaftsreformismus. Durch die Mitorganisation des innerkapitalistischen Gemetzels des spanischen BürgerInnenkrieges (siehe die Kapitel I.7 und II.4) wurde er offensichtlich sozialreaktionär.

Aber seine Dekadenz als sozialrevolutionäre Theorie und Praxis zeigte er schon wesentlich früher, unter anderem in den 1920er Jahren in Deutschland. Schon während der revolutionären Nachkriegskrise und erst recht danach zeigte auch die anarchosyndikalistische FAUD ihren opportunistisch-reformistischen Charakter. Zur Zeit der revolutionären Nachkriegskrise waren diese opportunistisch-sozialreformistischen Tendenzen, die während der relativen Stabilisierung des Kapitalismus (1924-1929) deutlich sichtbar wurden, noch überdeckt, aber sie waren im inkonsequenten Verhältnis der FAUD zu den sozialpartnerschaftlichen Betriebsräten schon vorhanden.

Bock schrieb darüber: „Eine ähnlich kompromisslose Stellung wie zu den politischen Parteien nahm die Geschäftskommission (der FAUD) zu den gesetzlichen Betriebsräten ein. Schon im August hatte Karl Roche (radikaler syndikalistischer Marxist, der sich zwischen FAUD einerseits und den radikalmarxistischen Organisationen AAUD/AAUE (siehe die Kapitel III.5 und III.6) andererseits bewegte, Anmerkung von Nelke) im Namen der ,Freien Vereinigung‘ (Vorläuferorganisation der FAUD, Anmerkung von Nelke) erklärt, die syndikalistischen Arbeiter könnten sich an den gesetzlichen Betriebsräten nicht beteiligen, da sie den Klassenkampf mit den Methoden der direkten Aktion führten. ,Die syndikalistischen Kampfmittel sind mit den Aufgaben eines Betriebsrates unverträglich.‘ (Der Syndikalist, 1. Jg., Nr. 36.) Auf dem Gründungskongress der FAUD (S) kam ein Kompromiss zustande, indem man diese in einer Resolution zur Betriebsrätefrage zwar prinzipiell ablehnte, aber gleichzeitig einräumte, dass örtliche Verhältnisse, organisatorische und praktische Gründe in den Betriebsbelegschaften zu einer Beteiligung von FAUD-Mitgliedern an den Wahlen zu den Betriebsräten führen könnten. Gleich nach dem Kongress setzte im Syndikalist eine andauernde und heftige Kampagne zum Boykott der Wahlen zu den Betriebsräten ein, und diese Haltung der Geschäftskommission blieb auch in den folgenden Jahren unverändert. Eine besondere Position nahmen in dieser wie in vielen anderen Fragen die FAUD-Organisationen im Ruhrgebiet ein, die sich niemals in ihrer Mehrheit den Einfluss der Berliner Geschäftskommission unterwarfen. Sie beteiligten sich zum Teil und mit nicht geringen Erfolgen an den Betriebsrätewahlen.“ (Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-1923, Verlag Anton Hein, Meisenheim am Glan 1969, S. 172.)

Bock war kein Revolutionär. Aber auch ihm hätte beim genaueren Lesen seiner eigenen Schrift eigentlich auffallen müssen, dass ein Widerspruch zwischen der am Anfang behaupteten Kompromisslosigkeit und dem dann geschilderten Kompromiss bestand. So eine opportunistische Tendenz der Anpassung an Tarifvertrags- und Betriebsratssystem gab es in den vom radikalen Marxismus geprägten Klassenkampforganisationen, AAUD und AAUE, nicht. Jede opportunistische Anpassung an die Betriebsräte von lokalen Gruppen führte zum Ausschluss aus der Gesamtbewegung.

Der faule opportunistische Kompromiss der FAUD gegenüber den gesetzlich-sozialpartnerschaftlichen Betriebsräten zeigte schon bald während der relativen Stabilisierung des deutschen Kapitalismus in einigen Regionen deutlich seine reaktionären Tendenzen, wie auch heutige anarchosyndyndikalistische IdeologInnen zugeben müssen: „Im thüringischen Sömmerda mussten die syndikalistischen Betriebsräte bei Rheinmetall, welche schon Anfang der 20-er Jahre tätig waren, dagegen viele Zugeständnisse machen. Ende des Jahres 1924 wurden in den elfköpfigen Betriebsrat 8 Syndikalisten gewählt. Sie durften jedoch nur die zu entlassenden KollegInnen bestimmen und verhielten sich bei Protesten gegen Abzüge aufgrund von Akkordberechnungsfehlern passiv und traten Streikabsichten entgegen. Ähnlich ernüchternde Erfahrungen wurden aus Oberschlesien vermeldet. Hier seien syndikalistische Betriebsräte gar die Ursache für den örtlichen Mitgliederrückgang gewesen. Sie wurden zu Gegnern der direkten Aktion und erklärten der FAUD auf Nachfragen hin, dass sie ja schließlich nicht nur von syndikalistischen Betriebsangehörigen gewählt worden wären und daher der Gewerkschaft keine Rechenschaft darüber schuldig seien, ob ihre Handlungen nun syndikalistisch waren oder nicht.“ (H. Döhring, Syndikalismus nach 1945, in: FAU Bremen (Hg.), Syndikalismus. Geschichte und Perspektiven, S. 20.) Die heutige bundesdeutsche anarchosyndikalistische Möchtegerngewerkschaft FAU steht eindeutig in dieser reformistischen Tradition der opportunistischen Anpassung an das Tarifvertrags- und Betriebsratssystem der Bourgeoisie.

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