4. GenossInnenschaften und selbstverwaltete Betriebe
GenossInnenschaften sind kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion. Sie gehen im Privatkapitalismus nahtlos in Kapitalgesellschaften über. Der utopische Sozialismus hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts große Illusionen in GenossInnenschaften. Der bürgerliche Sozialreformist Robert Owen sowie seine kleinbürgerlichen und proletarischen AnhängerInnen sahen in den GenossInnenschaften einen Weg die kapitalistische Ausbeutung zu überwinden. Noch heute sehen verschiedene anarchistische und marxistische IdeologInnen in GenossInnenschaften eine Form der Vergesellschaftung der Produktionsmittel – im Rahmen von Warenproduktion und Staat. Vielleicht können einige Menschen in Form von GenossInnenschaften ein angenehmeres Leben führen als sie es als Lohnabhängige in einem „normalen“ kapitalistischen Betrieb führen könnten – aber die GenossInnenschaften können nur eine Nische innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft sein, aber keine gesamtgesellschaftliche Alternative zu dieser, die sie wirklich aufhebt.
Auch im entwickelten Industriekapitalismus führten verschiedene Belegschaften von Betrieben, die von ihren kapitalistischen EigentümerInnen geschlossen werden sollten, diese unter kollektiver Regie als „selbstverwaltete Betriebe“ weiter. Klar, innerhalb des Kapitalismus sind solche „selbstverwalteten Betriebe“ besser als die Arbeitslosigkeit. Aber diese Betriebe sind nicht wirklich „selbstverwaltet“, sondern vom kapitalistischen Markt organisiert, für den sie Produkte und Dienstleistungen liefern müssen, um überleben zu können. Außerdem können sie nur im Rahmen staatlicher Gesetzlichkeit fungieren. „Selbstverwaltete Betriebe“ stellen also keine wirkliche Alternative zum Kapitalismus dar, sie reproduzieren die Ware-Geld-Beziehung innerhalb des Staates. SozialrevolutionärInnen müssen diese Grenzen der „selbstverwalteten Betriebe“ klar erkennen und benennen und scharf jenen Sozialreformismus kritisieren, die diese zur angeblichen „Alternative zum Kapitalismus“ hochstilisieren.
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Wir schrieben bereits im Kapitel I.7 wie die anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT das innerkapitalistische Gemetzel des spanischen BürgerInnenkrieges (1936-1939) mit organisierte, während wirkliche SozialrevolutionärInnen beide kriegführende Seiten, also sowohl die putschenden Generäle unter Franco als auch das antifaschistische Volksfront-Regime bekämpfen mussten. Die sozialreaktionären CNT-Bonzen traten stattdessen in die Volksfront-Regierung ein. Dies wird auch heute von einigen anarchosyndikalistischen IdeologInnen als „Fehler“ bezeichnet – was für eine Verniedlichung! Aber auf ihre „Kollektivierungen“ während des spanischen BürgerInnenkrieges sind die AnarchoideologInnen noch heute verdammt stolz und erzählen über diese einen Haufen schmutziger Lügen.
Die Wahrheit: Die CNT organisierte auf „kollektivistische“ Weise den Kapitalismus, als viele PrivatkapitalistInnen ins Lager der putschenden Generäle geflohen waren und das klassenkämpferische Proletariat in größte Wallung geraten war. Die CNT war also zu Beginn des Militärputsches eine verdammt wichtige Konterrevolutionärin, die das reaktionäre Volksfront-Regime durch „Kollektivierungen“ im Rahmen von Staat und kapitalistischer Warenproduktion am Laufen hielt. Wir SozialrevolutionärInnen kritisieren diese „Kollektivierungen“ ganz klar als Anarchokapitalismus, während die republikanisch-stalinistische Konterrevolution in ihrem Verlauf bestrebt war diese anarchokapitalistischen Experimente zu beenden und das Privateigentum an den Produktionsmitteln wieder herzustellen. So erforderte der konsequente Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln die konterrevolutionäre Frontstellung gegen den CNT-Anarchokapitalismus.
Besonders in der Landwirtschaft ging die CNT gegen den Großgrundbesitz vor – um dann die Landbevölkerung in Form von „Kollektiven“ im Interesse des kapitalistisch-antifaschistischen Krieges auszubeuten. Die StalinistInnen, die selbst in der UdSSR eine brutale Zwangskollektivierung durchgezogen hatten, waren während des spanischen BürgerInnenkrieges die Avantgarde einer nicht weniger brutalen Zwangsentkollektivierung. Sie organisierten privatbesitzende BäuerInnen in der Gewerkschaft UGT – die sie auch sonst immer erfolgreicher unterwanderten – gegen die kleinbürgerlich-kollektive Warenproduktion. Besonders in Aragon, wo die CNT sehr stark war, ging die stalinistische Konterrevolution im August 1937 massiv gegen die kleinbürgerlichen Kollektive vor. Landwirtschaftliche Kollektive, Unternehmen unter gewerkschaftskapitalistischer UGT/CNT-Kontrolle und Genossenschaften in den Städten wurden vom republikanisch-stalinistischen Block massiv zerstört. So wurden die anarchokapitalistischen Experimente in der Fleisch- und Molkereiwirtschaft in Katalonien im Juni 1937 beendet und die Betriebe den früheren PrivateigentümerInnen zurückgegeben.
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Wir wollen uns hier mit kollektiven Formen der Agrarproduktion im Rahmen von Klassengesellschaften auseinandersetzen, weil diese ebenfalls von vielen sozialreformistischen IdeologInnen – sowohl von marxistischen als auch anarchistischen – idealisiert werden. Auch nachdem sich der Urkommunismus in die verschiedenen Klassengesellschaften transformiert hatte, blieben teilweise gewisse kollektive Formen des Eigentums, der Produktion und des Konsums in der Landwirtschaft bestehen. Zum Beispiel hielt sich im zaristischen Russland die alte Dorfgemeinde – bis sie von den kapitalistischen Agrarreformen nach der niedergeschlagenen Revolution von 1905 zerstört wurde. Einige MarxistInnen, LinksnationalistInnen und andere politische Wirrköpfe idealisieren diese Reste des gemeinschaftlichen Eigentums in der Agrarproduktion innerhalb von Klassengesellschaften als „Agrarkommunismus“. Wir betonen demgegenüber, dass dieser Begriff eine Idealisierung des Gemeinschaftseigentums darstellt. Wenn die Gemeinschaft durch soziale Ungleichheit und die Herausbildung von Klassenherrschaft geprägt ist, ist diese und ihr Eigentum nicht mehr kommunistisch.
Wir wollen diesen „Agrarkommunismus“, wie er in Form der Allmende im deutschen Feudalismus weiterbestand, analysieren und kritisieren. Wir haben bereits im Kapitel I.2 die militärische Demokratie der GermanInnen als sich auflösenden Urkommunismus beziehungsweise sich entwickelnde Klassengesellschaft beschrieben. Im 5. und 6. Jahrhundert wurde bei einigen germanischen Stammesverbänden – so auch bei den Franken – das Gemeinschaftseigentum an Ackerland aufgehoben. Es wurde Privateigentum (Allod). Im Gegensatz dazu blieben Weide, Wald und Gewässer im Gemeinschaftsbesitz der Dörfer (Allmende). Diese Allmende entwickelte sich im Rahmen des Feudalismus und des Agrarkapitalismus.
Schauen wir uns die Transformation der Allmende im Feudalismus und sich entwickelnden Agrarkapitalismus genauer an. Die Dörfer differenzierten sich durch die feudal-kapitalistische Entwicklung immer stärker aus. Neben einem breiten bäuerlichen Mittelstand entwickelte sich auch eine Schicht von landarmen und landlosen DorfbewohnerInnen, die Lohnarbeit leisten mussten, um überleben zu können. Sie wurden Knechte und Mägde der reicheren BäuerInnen. Doch das sich herausbildende Landproletariat konnte sich nicht allein durch Lohnarbeit ernähren. Zum Lebenserhalt trug neben der Armenfürsorge der Kirche auch die Allmende als dörflicher Gemeinschaftsbesitz an Wiesen, Weiden, Wäldern und Gewässern bei. Indem die KleinbäuerInnen und das entstehende Landproletariat das Gemeinschaftseigentum und die kollektiven Rechte der Allmende nutzen konnten – zum Beispiel das Recht auf die Ährenlese nach der Ernte oder das Recht ein kleines Vieh auf der Dorfwiese zu weiden –, konnten sie sich ihre biosoziale Reproduktion sichern. Die Allmende sicherte und regulierte also die soziale Differenzierung und die sich entwickelnde kapitalistische Ausbeutung der Lohnarbeit im Dorfe. Sie war ein Rest des Urkommunismus, das bereits von der feudal-kapitalistischen Klassengesellschaft deformiert war. In ihrer Erleichterung der biosozialen Reproduktion der Dorfarmut gleicht sie dem heutigen bürgerlichen Sozialstaat. Hier schließt sich der Kreis. Große Teile der kleinbürgerlichen politischen Linken verklären sowohl den sozialreaktionären Wirkungszusammenhang der alten Allmende wie des modernen bürgerlichen Sozialstaates.
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In Bolivien bildete sich während des linksbürgerlichen Morales-Regimes (2005-2019) eine regelrechte GenossInnenschaftsbourgeoisie heraus. Die ersten GenossInnenschaften im bolivianischen Bergbausektor wurden bereits während der Weltwirtschaftskrise von 1929 gegründet. Deren Bedeutung nahm mal ab und mal zu. Während der neoliberalen Offensive der Privatbourgeoisie wurde in Bolivien im Jahre 1985 die Zerschlagung des staatlichen Bergbau-Konsortiums COMIBOL zugunsten multinationaler Konzerne beschlossen. Die entlassenen LohnarbeiterInnen gingen zuerst in die Städte und suchten dort neue Jobs. Als sie dort jedoch keine fanden, kehrten sie in die Minen zurück. Diese Rückkehr war mit Klassenkämpfen verbunden. Die neugegründeten GenossInnenschaften absorbierten einen Teil der Arbeitslosen, die der privatisierte Bergbausektor produzierte. Auch betrieben sie im Gegensatz zu den Privatinvestoren die alten und wenig profitablen Bergwerke. Durch die staatliche Legalisierung der GenossInnenschaften wurde der Klassenkampf befriedet.
Das linksreaktionäre Regime der MAS unterstützte seit 2005 die GenossInnenschaften. Aus ihren Reihen entwickelte sich eine neue Bourgeoisie. Durch die hohen Rohstoffpreise stiegen auch die bolivianischen Bergbauexporte von einem Preis von 500 Millionen US-Dollar 2006 auf über 3 Milliarden US-Dollar 2013. Aus der Produktion der Bergbauexporte stammten immerhin 30 Prozent von den GenossInnenschaften. Beim Gold waren es 71 Prozent, bei Zinn 41 Prozent, beim Silber 37 Prozent. Der von der Linksreaktion regierte Staat überantwortete seit 2008 43 Prozent der von ihm vergebenen Territoriums diesen Bergbaukooperativen. Deren Zahl verdreifachte sich von 447 im Jahr 2008 bis 2013 auf 1 400. Im letztgenannten Jahr beschäftigten sie 120 000 ArbeiterInnen, 90 Prozent der im Bergwerkssektor Tätigen. Der Staat unterstützte die GenossInnenschaften auch dadurch, dass diese nur wenig Steuern bezahlen mussten. Sie zahlten nur 4 Prozent Umsatzsteuer und lediglich ein Prozent des Produktionswerts als Konzessionsgebühr für die Ausbeutung der COMIBOL-Minen. So gingen im Jahre 2012 lediglich 44 Millionen US-Dollar ihrer Exporteinnahmen von 1,059 Milliarden an den Staat.
Die sozialen Unterschiede zwischen den bolivianischen GenossInnenschaften waren sehr ausgeprägt. Mehr als 80 Prozent der Bergbaukooperativen bestanden aus zehn bis fünfzig GenossenschafterInnen. Zwei Prozent von ihnen hatten mehr als 200 Mitglieder. Das Kapital der GenossInnenschaften war stark konzentriert und zentralisiert. So befanden sich 74 Prozent der Produktion in den Händen von 12 Prozent der Bergbaukooperativen. Dementsprechend waren auch die Gewinne sehr ungleich verteilt. Während um 2015 einige GenossenschafterInnen monatlich um die 60 000 Bolivianos – um diese Zeit etwa 8 500 Dollar – erhielten, bekamen die embryonal kapitalistisch ausgebeuteten LohnarbeiterInnen der Kooperative lediglich 1 500 Bolivianos (215 US-Dollar). Bei den großen GenossInnenschaften waren bis zu 80 Prozent der Beschäftigten LohnarbeiterInnen. Das waren schon keine kleinbürgerlich-kollektiven Formen der Warenproduktion mehr, das waren bereits kapitalistische Unternehmen! Lediglich 10 GenossInnenschaften hatten um 2015 mehr als 300 Mitglieder.
Die kapitalistischen GroßgenossInnenschaften sind sozial stark ausdifferenziert und auch von großer Ungleichheit geprägt. Lediglich formal waren alle ArbeiterInnen GenossenschafterInnen. In der Wirklichkeit existierten unterschiedliche Kategorien. So gab es vom Land kommende Hilfskräfte. Diese jobbten in den Kooperativen als SaisonarbeiterInnen, um ihr karges Einkommen aus der Agrarproduktion auszubessern. Auch unqualifizierte Arbeitskräfte wurden eine längere Zeit – manchmal Jahre – als Lohnabhängige ausgebeutet, bis sie Mitglieder der GenossInnenschaften werden konnten. Viele GenossenschafterInnen hatten TagelöhnerInnen unter Vertrag, die sie embryonal kapitalistisch ausbeuteten. So schufteten im Cerro Rico von Potosí vier HilfsarbeiterInnen für eine/n Genossenschafter/in. Der Gewinn wurde dann folgendermaßen aufgeteilt: Die GenossenInnenschafterInnen bekamen 40 Prozent, während es bei den TagelöhnerInnen 60 Prozent waren. So verdienten die TagelöhnerInnen nur etwa zwischen 700 und 1 000 Bolivianos (100-140 Dollar).
Auch gab es so genannte Zweithände, das war eine Kategorie zwischen TagelöhnerInnen und GenossenschafterInnen. Aber auch letztere waren nicht gleich. Es gab drei bis vier unterschiedliche Kategorien von ihnen. Die Rechte der GenossenschafterInnen waren ausdifferenziert und nur die oberen Kategorien hatten Anspruch auf Prämien und Zusatzzahlungen. In manchen Kooperativen übten nur wenige Mitglieder Führungsfunktionen aus.
Die Arbeit war so organisiert, dass sich die einzelnen GenossenschafterInnen ihren eigenen Platz im Stollen suchten. Diesen Platz beuteten sie dann unabhängig aus. Die GenossenschafterInnen konnten sich untereinander zusammenschließen oder Lohnabhängige einstellen und ausbeuten. Einnahmen der Kooperativen waren abhängig vom Mineraliengehalt des abgebauten Gesteins. In den größten GenossInnenschaften von Potosí widmete sich deren Management Führungsaufgaben, während die TagelöhnerInnen das Gestein abbauten. Die Führungstätigkeit im Management der Kooperativen enthielt die Möglichkeit des Aufstiegs in die Politik, zumal enge Verbindungen zur regierenden MAS bestanden. Große Kooperativen verfügten über bürgerlich-bürokratische Apparate. Diese entfalteten ihre politökonomische Macht über Büros, BuchhalterInnen, FahrerInnen, IngenieurInnen, Sicherheitspersonal und eine bessere technische Ausstattung. Auch konnten sie wegen ihres größeren Umsatzes zu besseren Preisen verkaufen. Die soziale Differenzierung innerhalb der Kooperativen war also sehr groß, sie gingen fließend in Kapitalgesellschaften über.
So entwickelte sich im linksreaktionären Regime der MAS eine GenossInnenschafts-Bourgeoisie. Diese besetzte Verwaltungsposten oder war mit dem Führungsmanagement eng verbunden. Sie kontrollierte wertvolle Mineralienvorkommen, gliederte Aufgaben aus und investierte in Technologie. Die GenossInnenschafts-Bourgeoisie eignet sich hohe Profite an. Sie handelte wie KapitalistInnen und große Wirtschaftsbosse. Diese Emporkömmlinge hatten direkte Beziehungen zu den VermarkterInnen. In einigen Fällen konnten sie auch Verträge mit ausländischen InvestorInnen zur Risikoaufteilung aushandeln.
So entwickelte sich eine neue Schicht der Bourgeoisie in Bolivien, deren Macht und Prestige auf der Kontrolle der produktiven Tätigkeit der anderen GenossInnenschafterInnen und der TagelöhnerInnen gründete. Das GenossInnenschafts-Proletariat schuftete währenddessen sehr hart – oft mit manuellen Werkzeugen – in den Minen. Indem die GenossInnenschafts-Bourgeoisie die Arbeit organisierte, eignete sie sich auch den Mehrwert an, den das Proletariat in den Kooperativen produzierte. Diese neue Schicht der herrschenden kapitalistischen Klasse kontrollierte selbstverständlich auch den GenossInnenschaftsverband Federación Nacional de Cooperativas Mineras de Bolivia (FENCOMIN), der vor dem Verfall der Rohstoffpreise etwa ein Drittel der Bergbauexporte des Landes organisierte.
Und diese GenossInnenschafts-Bourgeoisie strebte auch in die Politik, sie stärkte die linke Fraktion des bolivianischen Nationalkapitals. Eine führende Figur dieser Schicht der Bourgeoisie stellt zum Beispiel der Senator der regierenden MAS für das Departement Potosí, Efraín Condori, dar. Bevor dieser Herr sein Unwesen als linker Politbonze trieb, arbeitete er in den 1980er Jahren noch in der Mine Catavi – damals noch zum staatlichen Konsortium COMIBOL gehörend. In den 1990er Jahren wurde Condori in der GenossInnenschaft 20 de Octubre aktiv. Von dieser Kooperative wurde er schließlich zum Präsidenten gewählt. Zwischen 1998 und 2000 stieg dieser Emporkömmling zum Präsidenten des GenossInnenschaftsverbandes FENCOMIN auf. Und schließlich wurde er Politbonze der regierenden MAS. Das ist alles, was die Linksreaktion vermag: Der Aufstieg ehemaliger ProletarierInnen in die Bourgeoisie.
Eine weitere führende Figur der GenossInnenschafts-Bourgeoisie ist Pascal Huarachi. Dieser war zuerst ein StudentInnenführer, ab 1996 dann Bildungsbeauftragter der BergbaugenossInnenschaft von Chorolque. Zwischen 2002 und 2004 war der Mann ein führender Sekretär des GenossInnenschaftsverbandes FENCOMIN. In den Jahren 2005/2006 war er dessen Vorsitzender. Auch er stieg zum Senator der regierenden MAS auf. Außer den Senatoren stammten um 2015 sechs Kongressabgeordnete aus den Bergbaukooperativen. In dieser Zeit stellten sie 8 Prozent der Regierungsfraktion der linksreaktionären MAS. Auch der erste Bergbauminister von Evo Morales war ebenfalls ein früherer Vorsitzender der FENCOMIN. Dieser Verband hatte auch großen Einfluss innerhalb des Bergbauministeriums. Um 2015 herum waren mindestens zwei Genossenschafter Staatssekretäre.
Zwischen der GenossInnenschafts-Bourgeoisie als Teil der herrschenden kapitalistischen Klasse und den linken Politbonzen der MAS gab es also enge soziale Verflechtungen. Allerdings war diese auch nicht frei von Konflikten. Die Bergbaukooperativen übten teilweise Druck auf die regierenden linken BerufspolitikerInnen aus, damit diese Gesetze im Interesse der GenossInnenschafts-Bourgeoisie machten. Zum Beispiel vor den Wahlen von 2014. Da unterstützte der FENCOMIN die linke MAS erst nach der Verabschiedung eines für die GenossInnenschafts-Bourgeoisie vorteilhaften Gesetzes. Dieses 2014 verabschiedete Gesetz begünstigte den Bergbau gegenüber der Agrarproduktion. So beinhalteten die staatlich vergebenen Bergbaukonzessionen die Möglichkeit BäuerInnen zu enteignen. Auch richtet sich das Bergbaugesetz der regierenden Linksreaktion gegen die Interessen der amerikanischen UreinwohnerInnen von Bolivien. Trotz der plurinationalen Ideologie der MAS-Bonzen sind diese wie die regierende Rechtsreaktion vor ihr die politischen Charaktermasken der kapitalistischen Ausbeutung der Bodenschätze. Das Bergbaugesetz von 2014 erkannte nur drei Arten von Bergbauunternehmen an, nämlich privat- und staatskapitalistische, sowie genossenschaftliche. Wie wir weiter oben darlegten, ist der Übergang der GenossInnenschaften in Kapitalgesellschaften sehr fließend. Nach der Ansicht des Forschungszentrums Centro de Estudios para el Desarrollo Laboral y Agrario (CEDLA) zwang das Bergbaugesetz die uramerikanischen Gemeinschaften dazu „eine kapitalistische, marktorientierte Organisationsform anzunehmen, und eigene soziokollektive Strukturen aufzugeben“. (CEDLA, Ley Minera del MAS. Privatista y antiindígena, in: Boletín de Seguimiento a Polícas Públicas, Nr. 282014, S. 5, online: www.redunitas.org/CEDLA_control_ciudadano_26.pdf.)
Aus sozialrevolutionärer Sicht ist dazu zu sagen, dass diese „eigenen soziokollektiven Strukturen“ der amerikanischen UreinwohnerInnen innerhalb des bürgerlichen Nationalstaates Bolivien im besten Falle an bäuerlich-urkommunistische Traditionen anknüpfen und eine kollektiv-kleinbürgerliche Form der Warenproduktion verkörpern können. Sie können also nur weniger kapitalistisch ausgeprägt sein wie die großen Bergbaukooperativen, aber keine wirkliche nachkapitalistischeAlternative darstellen. Das linksreaktionäre MAS-Regime bekämpfte mit dem Bergbaugesetz von 2014 gewisse Traditionen des vorkapitalistischen BäuerInnen-Kommunismus. Selbstverständlich kann der antikapitalistische Kommunismus schöpferisch-kritisch an den Traditionen des vorkapitalistischenKommunismus anknüpfen, er macht sich aber keine Illusionen über deren Charakter innerhalb kapitalistischer Nationen. Aber er bekämpft auch dessen Zerstörung durch die kapitalistische Sozialreaktion, zu der auch die linke MAS-Regierung in Bolivien gehörte. Die Zerstörung bäuerlich-urkommunistischer Traditionen durch die bolivianische regierende Linksreaktion war nur die andere Seite der Medaille der Herausbildung einer GensossenInnenschafts-Bourgeoisie als linkspolitischer Beitrag zur Neuzusammensetzung der herrschenden kapitalistischen Klasse in Lateinamerika. Als das MAS-Regime den Bau einer Straße durch ein Gebiet der amerikanischen UreinwohnerInnen in Ost-Bolivien plante, konnten sich die linken Politbonzen auf die – auch von ihnen herangezüchteten – GenossInnenschafts-Bourgeoisie voll verlassen. Sie mobilisierte zu den Großdemonstrationen der Regierung, wofür sie das Regime mit zwei Gesetzen zugunsten des Bergbaus belohnte.
Der kleinbürgerlich-demokratische Intellektuelle und Forscher am Dokumentations- und Informationszentrum Bolivien (CEDIB), Pablo Vilegas, schrieb, dass keine andere gesellschaftliche Gruppe über eine solche Macht verfüge, wie sie im Rahmen der Bergbaukonzessionen zugestanden werde. Die Schürfrechte seien „durch Normen geschützt, die eher einer Monarchie als einer Demokratie entsprechen“. (Pablo Villegas, Ley de minería a costa de la democracia, in: Petropress, Nr. 33, Februar-August 2014, Cochabamba, Cedib, S. 26.) Typisches linksdemokratisches Gebaren, die großen Ideale der Demokratie gegen deren Wirklichkeit als kapitalistisches Staatssystem zu verteidigen. Nach der Analyse der CEDLA boten die gesetzlichen Regelungen der regierenden Linksreaktion den Bergbauunternehmen und ihren InvestorInnen Schutz vor „den Aktionen von Individuen oder Gruppen, die Bergbaugebiete und ihre Installationen besetzen oder besetzen planen.“ (CEDLA, Ley Minera del MAS, a.a.O., S. 6.) Das linksreaktionäre Regime schützte auf diese Weise das Bergbaukapital vor sozialen Protest.
Es wurde auf diese Weise „zu einem Instrument der Konzessionsinhaber“, wie Villegas schrieb. Die BesitzerInnen von Schürfrechten würden nach Ansicht dieses kleinbürgerlichen Demokraten auf widersprüchliche Weise sogar „über dem Parlament“ stehen, was nach dieser Denkrichtung ein schweres Verbrechen gegen die demokratischen Ideale darstellt. Das linksreaktionäre Regime hatte nach Villegas den GenossInnenschaften Privilegien eingeräumt, nachdem diese ihre politische Unterstützung von der Verabschiedung des Bergbaugesetzes abhängig gemacht hatten. Zum anderen setze die regierende MAS „die Polizei ein, um oppositionellen Verbänden wie CONAMAQ oder CIDOB (Anmerkung von Nelke: Organisationen der amerikanischen UreinwohnerInnen) den Organisationsstatus abzuerkennen und ihre Funktionen von der Regierung gegründeten Organisationen zu übertragen.“ (Pablo Villegas, Ley de minería a costa de la democracia, a.a.O., S. 28.) Wie wir sehen, muss die politische Linke, wenn sie zu einer regierenden Charaktermaske der Demokratie als realer kapitalistisch-sozialreaktionärer Staatsform wird, auch jene linksdemokratischen Illusionen, die sie woanders als Oppositionskraft selbst schürt, mit Füßen treten. SozialrevolutionärInnen belustigen sich über die kleinbürgerlich-demokratischen Ideale und bekämpfen die reale Demokratie kompromisslos.
Und die Demokratie ist auch ein Futternapf für linke Politbonzen und die GenossInnenschafts-Bourgeoisie. Dies bekamen auch die kleinbürgerliche DemokratInnen der CEDLA mit. Auch nach ihrer Ansicht unterstützte die Regierung „die Kooperativisten als Angehörige einer aufstrebenden Bourgeoisie, die wiederum das neue plurinationale Bolivien stärken soll“. (CEDLA, Ley Minera del MAS, a.a.O.) Neben der aufstrebenden GenossInnenschafts-Bourgeoisie unterstützt die linke MAS auch die HändlerInnen und mittleren AgrarproduzentInnen im Norden der Provinz Santa Cruz. Auf diese Weise baute die linke Fraktion des Kapitals ihre eigene ökonomische Basis aus, während andererseits sich neuformierende Teile der Bourgeoisie in der Linksreaktion ihre politische Vertretung sahen.
Die GenossInnenschafts-Bourgeoisie versteckte sich hinter der proletarischen Maske. In Wahlkampagnen für die MAS setzten sich die Bourgeois der Kooperativen BergarbeiterInnenhelme auf. Sie reproduzierten damit auf demagogisch-ideologische Weise Symbole der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Deren bürgerlich-bürokratischen Partei- und Gewerkschaftsapparate sind aber schon lange global Teil der linken Fraktion des Kapitals. Unter der proletarischen Maske mobilisierte die GenossInnenschafts-Bourgeoisie auch die LohnarbeiterInnen des Bergbaus – sowohl für als auch gegen die regierenden linken Politbonzen der MAS. So beteiligte sich auch die kapitalistische und bürokratische Führungsschicht der Bergbaukooperativen an den sozialen Kämpfen, wie zum Beispiel an denen in Potosí – die am stärksten von Bergbau geprägte Provinz in Bolivien. Die GenossInnenschafts-Bourgeoisie war zentraler Akteur der dortigen Bewegungen von 2007, 2010 und 2015. Selbstverständlich gehörte sie auch dem Comité Cívico Potosinista (COMCIBO; Bürgerkomitee von Potosí) an. Dieses organisierte 2015 einen dreiwöchigen Streik mit Verkehrsblockaden und Straßenprotesten.
2015, als die Rohstoffpreise fielen, stellte das COMCIBO einen Forderungskatalog, der aus 26 Punkten bestand. Unter anderem wurden Maßnahmen zur Strukturförderung gefordert. Außerdem mobilisierte die GenossInnenschafts-Bourgeoisie die proletarische Basis der Bergbaukooperativen für die Eröffnung der bereits vor 40 Jahren errichteten, aber nie in Betrieb genommene Minenanlage von Karachipampa und die Sanierung des Silberbergs von Potosí, deren Zusammenbruch und damit die Verschüttung der Gräben drohte. Dieser Cerro Rico de Potosí war eines der größten des von den GenossInnenschaften ausgebeuteten Silbervorkommens.
Durch Kampf und Kooperation im Verhältnis zur regierenden Linksreaktion hatten sich die Bergbaukooperativen und deren Bourgeoisie an der Spitze vier Privilegien erkämpft: Erstens zahlten sie weniger Abgaben und keine Mehrwertsteuer. Zweitens waren sie wegen ihrem vorgeblichen sozialen Charakter und weil sie angeblich nicht gewinnorientiert waren, von den normalen Verpflichtungen des Steuersystems befreit. Drittens wurden sie von der linken Regierung bei der Vermarktung ihrer Produkte unterstützt. Und viertens war für die Bergbaukooperativen auch die Umweltschutzgesetzgebung nicht bindend. Die linken BerufspolitikerInnen verbünden sich mit der herausbildenden Bourgeoisie der GenossInnenschaften und mit der Gewerkschaftsbonzokratie, um in der Konkurrenz mit der Rechtsreaktion über eine stabile sozialökonomische Basis verfügen zu können. Während die Führungselite der Bergbaukooperativen die Unterstützung durch das linke Regimes nutzte, um ihren weiteren sozialen Aufstieg politisch abzusichern. Sowohl in der Kooperation als auch im Konflikt mit der regierenden Linksreaktion setzte sie sich die proletarische Maske auf und mobilisiert die Basis der GenossInnenschaften. Die Hauptgeschädigten der Kooperation der linken Politbonzen mit der GenossInnenschafts-Bourgeoisie waren die von ihr ausgebeuteten TagelöhnerInnen in den Bergbaukooperativen sowie die uramerikanischen Dorfgemeinschaften in den Anden, die die Bodenschätze, die ihnen formal gehörten, selbst nicht abbauen konnten – der Abbau könnte auch im besten Falle höchstens kleinbürgerlich-kollektiv im Rahmen der Warenproduktion erfolgen –, weil sie weder über die dafür notwendigen Geldmittel verfügten noch vom Staat unterstützt wurden. Doch trotz der Unterstützung durch die regierende Linksreaktion suchte die aufstrebende Bourgeoisie der Bergbaukooperativen auch das Bündnis mit dem Privatkapital, um die Führung im Sektor zu übernehmen. Pablo Poveda vermutete: „Tendenziell geht die Entwicklung dahin, dass die Bergbaugenossenschaften und die für sie geltenden Sonderregeln zu einem Einfallstor für das ausländische Kapital werden und dass auf diese Weise die verschwundene Klasse des mittleren Bergbauunternehmertums in Bolivien ersetzt wird.“ (Pablo Poveda, Formas de productión de la cooperativas mineras en Bolivia, CEDLA, La Paz 2014, S. 85.)
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