11. Sein und Bewusstsein des Proletariats

June 22nd, 2024

Das Proletariat ist nicht nur ein potenzielles und tendenzielles Klassenkampfkollektiv. Es zerfällt auf den verschiedenen Arbeits- und Konsumgütermärkten in auch gegeneinander konkurrierende Marktindividuen. Als VermieterInnen ihrer Arbeitskraft und KäuferInnen von Konsumgütern sind auch ProletarierInnen kleinbürgerliche Marktsubjekte und mintunter ekelhaft Konkurrenzindividuen. Als letztere sind sie auch anfällig für die Ideologien des Konkurrenzchauvinismus wie Nationalismus, Rassismus, Sexismus und religiösen Fundamentalismus. Besonders als NationalistInnen und RassistInnen führen nicht wenige ProletarierInnen weltweit einen chauvinistischen Konkurrenzkampf gegen ProletarierInnen anderer Nationalität und/oder Hautfarbe. Nationalistische und rassistische ArbeiterInnen beziehen sich positiv auf ihre „eigene“ Nationalität beziehungsweise Hautfarbe und fordern auf dieser Grundlage wirkliche oder vermeintliche Rechte von Kapital und Staat ein. Sie verlangen in „ihrem“ Land auf dem Arbeitsmarkt und dem Wohnungsmarkt bevorzugt behandelt zu werden. Nicht wenige ProletarierInnen „sehen“ eine nichtvorhandene Bevorzugung der „fremden“ ProletarierInnen durch die einheimischen Politbonzen. Die objektiv reale soziale Entfremdung des Proletariats vom kapitalistischen Produktionsprozess und der bürgerlichen Politik wird nationalistisch und rassistisch uminterpretiert. Nationalistische und rassistische ProletarierInnen fühlen sich „fremd im eigenen Land“. Sie glauben, dass es ihnen deshalb schlecht gehe, weil es „den Fremden“ angeblich zu gut gehen würde. Wenn das linksliberale BildungsbürgerInnentum im Namen eines abstrakten Humanismus gegen diesen konkreten Konkurrenzchauvinismus argumentiert, dringt sie damit bei großen Teilen des Proletariats nicht durch.

Außerdem sind ProletarierInnen in ihrer Freizeit auch KonsumentInnen der bürgerlichen Kulturindustrie und Ideologieproduktion. Doch die kapitalistische Kultur- und Freizeitindustrie vermag den ProletarierInnen nur die Freiheit im Zoo zu verkaufen. Die ProletarierInnen konsumieren die Freizeit als Freiheit im Zoo. Der Zoo ist das Recht für Geld eingesperrte Kreaturen sehen zu können. Das ist der Genuss der Freizeit, um sich in der Arbeitszeit wieder – scheinbar freiwillig, in Wirklichkeit von dem stummen Zwang der Verhältnisse getrieben, der von vielen verinnerlicht wird – in Büros und Betriebe einsperren zu lassen. Selbstverständlich ist das eingesperrte Sein der Tiere nicht vergleichbar mit der doppelten Freiheit der Lohnabhängigen. Tiere können nicht selbst den Zoo zerstören, aber die Lohnarbeit kann sich möglicherweise in einem revolutionären Prozess selbst aufheben. Die mögliche revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats ist notwendigerweise auch die Zerschlagung des Zoos als Ausdruck der kapitalistisch-technokratischen „Naturbeherrschung“ und der menschlichen Entfremdung von der Natur. Arbeit ist der Preis für die Freiheit im Zoo. Sowohl die Lohnarbeit der TierpflegerInnen als auch die von vielen ZoobesucherInnen. Nach den weitverbreiteten Vorstellungen vieler Lohnabhängiger gehen sie arbeiten, um sich unter anderem das Brot und die Spiele, die von der kapitalistischen Kulturindustrie serviert werden, leisten zu können. So bezahlen sie durch ihre Arbeit den ganzen Zirkus, in dem sie sich nicht gerade selten selbst zum Affen machen. Im selbstverlorenen Einrichten im Zoo der kapitalistischen Kulturindustrie ist das Finden der eigenen Identität sehr wichtig. Die bürgerlichen Individuen sollen ihre Identität im Kauf von bestimmten Produkten finden, die massenhaft hergestellt werden – und sie dennoch „unverwechselbar“ machen sollen. Kapitalistische Kultur ist im Wesentlichen die der Bourgeoisie und des KleinbürgerInnentums. ProletarierInnen konsumieren größtenteils die Meinung der herrschenden kapitalistischen Klasse sowie ihrer kleinbürgerlichen Kopflanger, indem sie Zeitungen lesen, im Internet surfen oder auch ganz „unpolitisch“ ins Kino gehen. Wo sie unter anderem Hollywood-Schinken genießen können, in denen amerikanische ActionheldInnen die westliche Freiheit gegen alle möglichen und unmöglichen FeindInnen verteidigen. Natürlich gibt es auch die Kapitalismus-Kritik als Ware. Ganz günstig bei Amazon. Der Kapitalismus verdient auch an dessen Kritik. Und die ProletarierInnen bezahlen für sie – mit ihrer Arbeit und mit ihrem Geld.

Als Marktsubjekte verinnerlichen auch ProletarierInnen in ihrer Mehrheit die Ware-Geld-Beziehung als etwas völlig Normales, zumindest als etwas, was sich nicht ändern lässt. Auch Lohnabhängige – besonders Männer – sind durch die Ware-Geld-Perversion, die Prostitution geprägt. Der menschliche Körper – besonders der weibliche – wird zum Sexualobjekt. In der Prostitution kommt besonders zum Ausdruck, dass die bürgerlichen Marktsubjekte nur noch stark eingeschränkt zu intersubjektiven Beziehungen wie Solidarität, Freundschaft und Liebe fähig sind. Sie vereinsamen in der Einöde des Konkurrenzindividualismus. Und kaufen andere Körper, benutzen sie für Geld. Sex wird zur Arbeit für Geld, zur Sexarbeit. Prostitution heißt von der Ware-Geld-Beziehung gefickt zu werden. SexarbeiterInnen sind Teil des Proletariats. Ihre Entfremdung vom eigenen Körper ist krasser als die von anderen LohnarbeiterInnen. Die Forderungen kleinbürgerlicher Feministinnen nach einem staatlichen Verbot der Prostitution richtet sich gegen die Interessen der SexarbeiterInnen. Staatliche Verbote können die Prostitution nicht wirklich überwinden, sondern nur in den Untergrund treiben. Nur die mögliche sozialrevolutionäre Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung sowie des sozialen und sexuellen Elends kann die Prostitution wirklich überwinden.

Auch das Privatleben vieler ProletarierInnen ist kleinbürgerlich-patriarchal geprägt. Lohnabhängige Frauen bekommen noch immer trotz der inzwischen erfolgten rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter durchschnittlich weniger Lohn als Männer. Auch in proletarischen Familien verrichten Frauen den größten Teil der biosozialen Reproduktionstätigkeiten (saubermachen, einkaufen, Erziehung und Beaufsichtigen von Kindern, Pflege von kranken und älteren Familienmitgliedern). Durch die innerfamiliären biosozialen Reproduktionstätigkeiten eingeschränkt, arbeiten viele Proletarierinnen in schlecht bezahlten Teilzeit-Jobs. Der Kapitalismus braucht sowohl die Warenproduktion als auch die biosoziale Reproduktionstätigkeit. Aber beide müssen nicht unbedingt strukturell patriarchal geprägt sein. So sind in Deutschland in zehn Prozent der Familienhaushalte Frauen die Hauptverdiener. Und es gibt auch Fälle von Familien, wo die Männer ausschließlich biosozialen Reproduktionstätigkeiten nachgehen. Aber egal, ob nun Frauen oder Männer ausschließlich der biosozialen Reproduktionstätigkeit nachgehen: Ihre Arbeit ist oft eintönig und individuell-vereinsamend. Durch die Berufstätigkeit ehemaliger Hausfrauen werden diese Teil des Kollektivs der ArbeiterInnenklasse – und damit auch möglicherweise des proletarischen Klassenkampfes.

Das Privatleben – besonders die Liebes- und Sexualbeziehungen – ist aufgrund der durch Ausbeutung und Entfremdung geprägten Produktionsverhältnissen oft stark belastet. Da viele lohnabhängige Menschen von den Arbeitsverhältnissen realistischerweise gar nicht erwarten, dass sie sie auch sozial befriedigen oder gar glücklich machen, werden oft alle Ansprüche an das Leben auf die Liebesbeziehungen übertragen – und damit überlastet. Wenn die ProletarierInnen von der Arbeit nach Hause kommen, sind sie oft von dieser ermüdet oder gar von dieser frustriert. Da mensch dem Chef nicht sagen kann, was mensch von ihm hält, wird viel geschluckt. Und dann zuhause ausgekotzt. Und dann ist da der Glücksanspruch an den/die Lebenspartner/in. Mensch lässt sich ja so viel gefallen, dann kann mensch doch erwarten, dass es einem daheim gut geht. Der lohnabhängige Mensch ist auf Arbeit das Objekt der Kapitalvermehrung, in der Freizeit, seinem Privatleben, neigt er sehr stark dazu, seinem Lebenspartner zum Objekt seines Glücksanspruches zu machen. Und zwar sowohl die Männer als auch die Frauen. Und wenn der/die andere dem Glücksanspruch nicht genügen kann oder will – dann entlädt sich schnell die innerhäusliche Gewalt. Da der Kapitalismus noch immer stark patriarchal geprägt ist, überwiegt die körperliche Männergewalt gegen „ihre“ Frauen. Doch vereinzelt werden auch Frauen gegen „ihre“ Männer handgreiflich. Innerhäusliche Gewalt – nicht nur körperliche, sondern auch Psychoterror – ist auch in proletarischen Familien weit verbreitet. Sie ist Ausdruck dafür, dass die Menschen der bürgerlichen Gesellschaft immer weniger zu intersubjektiven Beziehungen fähig sind, sondern sich gegenseitig zum Objekt ihres totalitären Glücksanspruches machen – im Privatleben, das den notwendigen Dreck des Arbeitslebens kompensieren soll.

Auch in der Politik sind ProletarierInnen kleinbürgerlich, die in freien Wahlen die gesamtgesellschaftlichen OrganisatorInnen ihrer Ausbeutung ermächtigen. Egal ob die ProletarierInnen politisch links oder rechts wählen – sie stabilisieren damit die Herrschaft der BerufspolitikerInnen als Überbau der kapitalistischen Produktionsweise. Im Proletariat wird zwar viel geschimpft über die BerufspolitikerInnen, aber der totale Klassengegensatz zwischen Lohnarbeit und Staat wird zurzeit nur von einer Minderheit erkannt. Zu viele ProletarierInnen fallen auf rechtspopulistisches Gezeter „gegen das Establishment“ herein – und sorgen mit ihren Wählerstimmen mit dafür, dass RechtsnationalistInnen eben Teil dieses Politzirkus werden. Allerdings ist es auch Teil des politischen Theaters, wenn einige ProletarierInnen antifaschistische PolitikerInnen wählen. „Nazis“ und AntifaschistInnen reproduzieren nur die Politik als gesamtgesellschaftliche Organisation der kapitalistischen Ausbeutung des Proletariats.

Auch im Produktionsprozess ist das Verhalten manchmal ziemlich asozial. Einige Lohnabhängige schleimen sich bei den Chefs und Chefchens ein und treten nach unten – behandeln also die Auszubildenden und die LeiharbeiterInnen schlecht. Auch Mobbing, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und nationalistische/rassistische Hetze gegen andere KollegInnen gibt es am Arbeitsplatz. Des Weiteren verinnerlichen nicht wenige ProletarierInnen ihre Rolle als produktives menschliches Kapital und entwickeln einen widersprüchlichen ProduzentInnenstolz. Einerseits hat der proletarische ProduzentInnenstolz die auch für den Klassenkampf nicht unwichtige Tendenz, das Selbstbewusstsein des Proletariats zu heben, aber eben auch jene, tendenziell die Ausbeutungsobjektivität der Lohnabhängigen zu leugnen oder auszublenden. Der proletarische ProduzentInnenstolz kann sich sowohl klassenkämpferisch gegen die Bourgeoisie als auch sozialdarwinistisch gegen nichtlohnarbeitende Unterschichten richten. Völlig zu Charaktermasken des menschlichen produktiven Kapitals verkommen Lohnabhängige von umweltschädlicher und Rüstungsproduktion, wenn diese ihre Arbeits- und Ausbeutungsplätze sozialreaktionär gegen die kleinbürgerliche Umwelt- und Friedensbewegung verteidigen. In diesem Fall werden sie auch zur politischen Manövriermasse von bestimmten Fraktionen des Kapitals.

Fazit: Als Marktsubjekte, Familienmenschen, Konsumierende der kapitalistischen Freizeit- und Kulturindustrie, StaatsbürgerInnen und als menschliches produktives Kapital im Produktionsprozess entwickeln ProletarierInnen ein mehr oder weniger kleinbürgerliches Sein und Bewusstsein. Sie stehen nicht von außen der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber, sie sind ihr unterprivilegiertester Teil, kleine BürgerInnen. Bei den objektiv-subjektiven kleinbürgerlichen Tendenzen des Proletariats bilden dessen Sein und Bewusstsein eine widersprüchliche Einheit. Auch proletarische RevolutionärInnen, die bewusst die Überwindung des Kapitalismus anstreben, leben nicht außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Sie sind objektiv Marktsubjekte, die auch mit ihren Klassengeschwistern auf den Arbeitsmärkten und dem Wohnungsmarkt konkurrieren müssen. Aber sie müssen natürlich die gröbsten Auswüchse des Konkurrenzchauvinismus – Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus und Sexismus – in sich selbst zurückdrängen. Jedoch ist auch ihre Prägung durch die bürgerliche Gesellschaft und der von ihr permanent produzierte Wahnsinn nicht zu leugnen. Gerade das Unterbewusstsein auch von proletarischen RevolutionärInnen ist stark von der bürgerlichen Gesellschaft geprägt. Darüber müssen sie kollektiv und individuell selbstkritisch reflektieren, anstatt den Avantgarde-Wahnsinn, dass sie angeblich das Proletariat zu „führen“ hätten, zu kultivieren.

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Doch das Sein und Bewusstsein des Proletariats ist auch durch den Klassenkampf geprägt. Nicht nur den offensichtlichen, in Form der Arbeitsniederlegung, sondern auch durch den unsichtbaren illegal-konspirativen Alltagsklassenkampf. Dieser ist sehr reichhaltig an verschiedenen Formen. Er ist geprägt durch heimliche Pausen machen, langsam arbeiten, das faktische Nichtbeachten von Anordnungen der hierarchischen Leitungsebenen unter der Maske der Gehorsamkeit, die Sabotage und die produktive Aneignung der Produktionsmittel.

Sehen wir uns einige Formen genauer an. Der kapitalistische Produktionsprozess ist dadurch geprägt, dass die Arbeitsanweisungen von selbst nicht unmittelbar körperlich Arbeitenden erfolgen. Das macht ihre Anweisungen nicht gerade selten ziemlich unpraktisch. Außerdem ist der kapitalistische Arbeitsprozess immer auch Ausbeutungsprozess der Lohnarbeit. Davon sind auch die Anweisungen der Hierarchie geprägt. So ist bekannt, dass kollektives Arbeiten oft produktiver ist als individuelles. Doch das kollektive Arbeiten kann auch die Basis für einen gemeinsamen Klassenkampf sein – gerade dann, wenn das erstere nicht unter der unmittelbaren Aufsicht der Leitungshierarchie stehen kann. Wie zum Beispiel die Arbeit von Zimmermädchen auf Luxusdampfern. Ein ehemaliges Zimmermädchen berichtet in dem sehr interessanten Buch Lexikon der Sabotage wie sie und ihre Kolleginnen durch die hierarchische Arbeitsorganisation dazu angehalten wurden, die jeweilige Suite allein zu reinigen. Doch das Zimmermädchen und eine Kollegin hielten sich nicht daran. Sie machten die Arbeit zusammen, was sie weniger eintönig machte. Wurden sie erwischt, nahmen sie die Strafe hin – und arbeiteten weiter gemeinsam. Irgendwann hörte die Chefin auf, sie dafür zu bestrafen. Auch andere Zimmermädchen begannen zu zweit zu putzen. So hatten sich die Zimmermädchen durch das Nichtbefolgen der Anordnung ihrer Chefin die Arbeit klassenkämpferisch erleichtert. (Bernhard Halmer, Peter A. Krobath, Lexikon der Sabotage. Betrug, Verweigerung, Racheakte und Schabernack am Arbeitsplatz, Sonderzahl, Wien 2008, S. 77-81.)

Das Nichtbefolgen von Anweisungen der Leitungshierarchie ist eine revolutionäre Tendenz des reproduktiven Klassenkampfes. Aber nur eine Tendenz, denn der kapitalistische Produktions- und Ausbeutungsprozess ging ja auch durch das gemeinsame Putzen weiter. Heimlich nicht auf die Chefs hören, das ist eine revolutionäre Tendenz. Die Chefs offiziell zu entmachten – das ist die soziale Revolution!

Auch die Sabotage an den und die produktive Aneignung der Produktionsmittel ist eine revolutionäre Tendenz des reproduktiven Klassenkampfes. Die Mittel der Produktion bilden im Kapitalismus das Eigentum von nicht unmittelbar Produzierenden. Auch werden sie von technischen SpezialistInnen entwickelt – die dem lohnabhängigen KleinbürgerInnentum angehören –, also ebenfalls von Leuten, die nicht unmittelbar an und mit ihnen arbeiten müssen. Das Ziel der Produktion ist Maximalprofit. Wenn Unfälle von Lohnabhängigen sich nicht zu sehr häufen, werden sie vom Kapital als Kollateralschäden der Produktion behandelt. Kapitalistische Technik ist eine Waffe der Bourgeoisie gegen das Proletariat. Sowohl wenn sie nicht richtig funktioniert und massenhaft die Gesundheit und das Leben des Proletariats gefährdet als auch wenn sie technisch einwandfrei läuft. Im zweiten Fall produzieren die ProletarierInnen mit ihnen fremden Reichtum und für sich selbst oft Langeweile und Stumpfsinn. Sie wenden nicht bewusst selbst Produktionsmittel an, um ein Gut für die unmittelbare individuelle und kollektive Befriedigung von Bedürfnissen herzustellen. Sie wurden von den kapitalistischen BesitzerInnen der Produktionsmittel, den NichtarbeiterInnen, angemietet. ProletarierInnen werden an die Maschinen gestellt, deren Laufzeit oft vom Management bestimmt wird. Sie sind das Anhängsel der Maschinen, nicht die bewussten AnwenderInnen der Produktionsmittel. Die letzteren sind gleichzeitig Zerstörungsmittel der Bourgeoisie gegen die LohnarbeiterInnen.

In der Sabotage machen die ProletarierInnen individuell oder kollektiv das kaputt, was sie kaputt macht. Sie täuschen bewusst technische Defekte vor, um die Ruhe des Produktionsausfalles genießen zu können. Die Sabotage ist Zerstörung fremden Eigentums. Sie ist die faktische Nichtanerkennung des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln. Ob sich die sabotageleistenden ArbeiterInnen sich nun dessen bewusst sind oder nicht. Die Sabotage ist eine revolutionäre Tendenz des reproduktiven Klassenkampfes. Der kapitalistische Produktionsprozess wird durch das Sabotage ausübende Proletariat selbstbewusst verneint. Doch nur für eine Weile. Durch die Reparatur beziehungsweise der Ersetzung der zerstörten Technik wird die Sabotage wieder verneint. Sie ist die Verneinung der Verneinung als Wiederbejahung des kapitalistischen Produktionsprozesses. Vielleicht nutzen auch die ManagerInnen die Sabotage, um die zerstörte Technik nicht einfach durch ein anderes Exemplar derselben Art zu ersetzen, sondern zu einer technologischen Innovation, also zu einer Modernisierung des kapitalistischen Produktionsprozesses. Auch die ProletarierInnen funktionieren wieder als menschliches produktives Kapital. Aber sie sind durch die Sabotage andere geworden. Sie haben sich durch sie klassenkämpferisch eine zusätzliche Pause gegönnt und ihren AusbeuterInnen geschadet. Die ProletarierInnen grinsen in sich hinein, während sie vom Chefchen ermahnt werden, mit der neuen Technik doch bitte sorgsam umzugehen…

Auch die produktive Aneignung von Produktionsmitteln durch die ProletarierInnen gehört zu den revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes. Diese Form des illegal-konspirativen Klassenkampfes ist nur in bestimmten Produktionsprozessen und bei einer eher lückenhaften Kontrolle der Lohnabhängigen durch das Kapital möglich. Zum Beispiel in Handwerksbetrieben und an modernen Computer-Arbeitsplätzen. Bei der produktiven Aneignung stellen die Lohnabhängigen – immer, wenn der Chef nicht hinschauen kann – mit den Produktionsmitteln Dinge für sich selbst her. Zum Beispiel in einer Holzwerkstatt Möbel oder am Computer-Arbeitsplatz Liebesgedichte für die PartnerInnen. Während der Klassenkampfaktion der konspirativ-illegalen produktiven Aneignung hören die Produktionsmittel faktisch auf gegenständliches produktives Kapital zu sein. Mit ihnen wird kein Mehrwert für die Bourgeoisie produziert, sondern Dinge für den persönlichen Gebrauch der Lohnabhängigen. Sie heben durch ihren eigenen Klassenkampf tendenziell die Entfremdung von den Produktionsmitteln auf. Auch die Lohnabhängigen sind während der Aktion faktisch kein menschliches produktives Kapital mehr, sondern sie produzieren für ihre eigene Bedürfnisse. In Form der produktiven Aneignung geht also die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats tendenziell in dessen revolutionäre Selbstaufhebung über. Geschieht diese produktive Aneignung im reproduktiven Rahmen eines illegal-konspirativen Alltagsklassenkampfes, dann ist dies „nur“ eine revolutionäre Tendenz. Denn formal bleiben die Produktionsmittel und die Lohnabhängigen auch während der klassenkämpferischen produktiven Aneignung selbstverständlich gegenständliches und menschliches produktives Kapital. Aber eignet sich das Proletariat die Produktionsmittel auch offiziell produktiv an und überwindet die Ware-Geld-Beziehung und den Staat als Nationalkapital, dann hebt es sich wirklich revolutionär auf.

Der Unterschied zwischen den revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes und der möglichen sozialen Revolution ist der, dass die ersteren sich auch instinktiv-vorbewusst durchsetzen können, während der mögliche sozialrevolutionäre Prozess nur als hochbewusste und glasklare Selbstaufhebung des Proletariats als Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft zur materiellen Gewalt werden kann.

Meistens sind sich die Lohnabhängigen der revolutionären Tendenzen ihres eigenen Klassenkampfes nicht bewusst. Sie sind dem entfremdeten kapitalistischen Produktionsprozess ausgeliefert. Ihre sozialen Bedürfnisse sind darauf ausgerichtet, die Not unmittelbar zu wenden. Und diese Notwendigkeit setzt sich oft instinktiv-vorbewusst durch. Der Instinkt ist das noch nicht vollkommen klare Gespür für eine Situation. Die meisten ProletarierInnen kennen die Mehrwert-Theorie als theoretische Erklärung der kapitalistischen Ausbeutung nicht. Aber sie bekommen letztere zu spüren. Sie leiden unter ihr. Eine Form, damit umzugehen, ist die psychisch-mentale Verdrängung der Ausbeutung. Selbst proletarische RevolutionärInnen können an der Arbeit nicht ständig daran denken, dass sie ausgebeutet werden. Das ist zu deprimierend. Eine andere Form ist der illegal-konspirative Alltagsklassenkampf. Dieser ist insofern bewusst, dass die ihn führenden ProletarierInnen wissen, dass sie etwas Verbotenes tun. Aber sie wissen oft nicht, dass ihr eigenes Handeln tendenziell revolutionär ist. Um dies zu wissen, braucht es ein revolutionäres Bewusstsein. Nur wer bewusst eine Revolution anstrebt, vermag auch die revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes zu erkennen. Um den kapitalistischen Produktionsprozess abzumildern, dazu reicht instinktiv-vorbewusstes Spüren der Ausbeutung und lebendiger Kampfeswille, aber um ihn aufzuheben, braucht es auch das theoretische Bewusstsein des möglichen revolutionären Prozesses.

Das Bewusstsein der proletarischen RevolutionärInnen ist die Verschmelzung des Klasseninstinktes mit der materialistischen Dialektik. Es verkörpert die Möglichkeit der sozialen Revolution in seiner größtmöglichen Klarheit. Diese schöpft sich aus der theoretischen Verallgemeinerung der konkreten praktischen Klassenkampf-Erfahrungen des Weltproletariats. Die größtmögliche Klarheit ist dabei auch immer eine historisch beschränkte. Denn revolutionäre Theorie kann immer nur die vergangenen praktischen Erfahrungen verallgemeinern.

Revolutionäres Klassenbewusstsein ist Dialektik in seiner höchsten Dynamik. Proletarische RevolutionärInnen streben nicht die Führung ihrer Klasse, sondern deren kollektive klassenkämpferische Selbstorganisation und -aufhebung an. Sie geben wichtige Impulse für die Radikalisierung des Seins und Bewusstseins des Proletariats. Proletarische RevolutionärInnen machen ihre Klassengeschwister nicht zum Objekt von „Agitation und Propaganda“, sondern treten mit ihnen in einen intersubjektiven Dialog ein. Indem sie die sich oft instinktiv-vorbewusst entfaltenden revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes bewusst machen, verstärken sie diese. Indem sie bewusst die revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes praktisch leben, werden sie zu deren bewussten Ausdruck. Zum bewussten Verbindungsglied zwischen den revolutionären Tendenzen des klassenkämpferischen Heute zum möglichen Morgen der sozialen Revolution.

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Weiter oben haben wir sowohl die kleinbürgerlichen Tendenzen der ProletarierInnen als auch die revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes beschrieben. In der sozialen Wirklichkeit des Proletariats verbinden sich die kleinbürgerlichen und revolutionären Tendenzen zu einem widersprüchlichen Sein und Bewusstsein. Der ehemalige Proletarier und jetzige linke Kleinbürger Christian Baron – ihm gelang der materiell-intellektuelle Aufstieg – hat durch seine geistige Reflektion über die Tiefe des Abgrundes, die zwischen der politischen Linken und der ArbeiterInnenklasse herrscht, ein gewisses Verdienst. In seinem Buch Ein Mann seiner Klasse beschrieb Baron das Sein und Bewusstsein seines proletarischen Vaters. „Beständig kreist die Erzählung dabei um den Vater, der als ein geradezu typischer ,Mann seiner Klasse‘ erscheint. Als Möbelpacker verdient er sein Geld mit körperlicher Stärke, doch zählt er zu den Schwächsten der Gesellschaft. Gelegentlich rächt er sich an ihr, indem er auf Arbeit klaut und seiner Familie fremde Schätze mitbringt, die ,vom Laster gefallen‘ seien. Das sei zwar ,nicht recht‘, aber ,gerecht‘, meint er. Zu einem Protest, der wirklich politisch wäre, findet er jedoch keinen Weg. Seinen Frust baut er stattdessen so ab, wie es schon sein eigener Vater immer tat: Er ergibt sich hemmungslos dem Suff und prügelt regelmäßig Frau und Kinder. Seinen proletarischen Stolz bewahrt er sich, indem er selbst in größter Not jede Hilfe vom ,Sozialstaat‘ verweigert und lieber seine Kinder hungern lässt. Außerdem verschafft es ihm Befriedigung, mit rassistischem Blick wenigstens auf die türkischen ,Kameltreiber‘ herabzusehen.“ (Michael Bittner, Vom Laster gefallen, in: junge Welt Literatur vom 12. März 2020, S. 17.)

Wir sehen hier deutlich, wie der proletarische Vater von Christian Baron von allen reaktionären Tendenzen des sozialen Seins und Bewusstseins geprägt war – einschließlich patriarchaler Gewalt und rassistischer Abgrenzung. Und doch führte auch dieser Mann einen illegalen Alltagsklassenkampf, den die herrschende Bourgeoisie als „Diebstahl“ kriminalisiert – der Raub an Lebenszeit und -kraft des Proletariats durch den kapitalistischen Produktionsprozess ist selbstverständlich ehrenwert und legal. Der Proletarier weiß, dass sein Verhalten das bürgerliche Recht bricht, aber nach seiner klassenkämpferischen Ethik – die moralische Widerspiegelung seiner materiellen Interessen und sozialpsychologischen Bedürfnisse – sorgt er für ausgleichende „Gerechtigkeit“. Im reproduktiven Klassenkampf bewegt sich der Widerspruch zwischen kleinbürgerlichen und revolutionären Tendenzen des Proletariats.

Vom kollektiven Klassenkampf ist im obigen Zitat nicht die Rede. Das ist ein Ausdruck des relativ niedrigen Niveaus des kollektiven proletarischen Widerstandes in der BRD. Im kollektiven Klassenkampf bewegt sich der Widerspruch zwischen kleinbürgerlichen und revolutionären Tendenzen des Proletariats auf einem höheren Niveau. Oben ist von dem individuellen Rassismus eines Möbelpackers als dessen Konkurrenzchauvinismus die Rede. Die Belegschaften vieler Einzelkapitale sind aber multiethnisch und multikulturell zusammengesetzt, im produktiven Alltag mehr oder weniger auch entlang nationalistischer/rassistischer Linien gespalten. Gerät eine solche multiethnisch und multikulturell zusammengesetzte Belegschaft in einen offenen Konflikt mit dem Management des Einzelkapitals, dann wird die Überwindung der nationalistisch-rassistischen Spaltungslinien zu einer Notwendigkeit des kollektiven Klassenkampfes. Und es gibt in der Tat unzählige Beispiele dafür, wie der gemeinsame kollektive soziale Widerstand tendenziell den Nationalismus und Rassismus überwindet. Auch dies ist eine revolutionäre Tendenz des reproduktiven Klassenkampfes.

Doch es gibt auch gegenteilige Beispiele. Wie stark der Nationalismus/Rassismus als bürgerliche Ideologie sogar teilweise noch durch das militant-klassenkämpferische Proletariat reproduziert wird, zeigt uns die Geschichte des Klassenkampfes in Südafrika. Die „weißen“ ArbeiterInnen waren so stark von der rassistischen Ideologie durchdrungen, dass sie diesen sogar noch reproduzierten, als sie einen blutigen Klassenkampf mit der „weißen“ Bourgeoisie Südafrikas ausfochten. So war es zum Beispiel beim großen Streik der „weißen“ BergarbeiterInnen im Jahre 1922. Vier an diesem Streik beteiligte „weiße“ ArbeiterInnen wurden von der bürgerlichen Klassenjustiz zum Tode verurteilt. Aber obwohl die „weiße“ Bourgeoisie den Klassenkrieg gegen das „weiße“ Proletariat mit aller Gnadenlosigkeit führte, also in der Praxis alle Ideologien über einheitlich handelnde „Rassen“ widerlegte, reagierten die „weißen“ BergarbeiterInnen feindselig auf die aktive Solidarität ihrer „schwarzen“ Klassengeschwister. Als die letzteren ebenfalls in den Streik treten wollten, holte die „weiße“ Streikleitung die Polizei, um die „schwarzen“ ArbeiterInnen zur Weiterarbeit zu zwingen.

Auch das „schwarze“ Proletariat reproduzierte in seinem Klassenkampf gegen den rassistischen südafrikanischen Kapitalismus den „schwarzen“ Nationalismus und die institutionalisierte „schwarze“ ArbeiterInnenbewegung, der Gewerkschaftsbund COSATU und die Südafrikanische „Kommunistische“ Partei (SA„C“P) kultivierten den Nationalismus innerhalb des „schwarzen“ Proletariats. COSATU und SA„C“P passten sich auch an die intellektuelle Elite des Afrikanischen Nationalkongress (ANC) an, der dadurch eine proletarische Massenbasis bekam. Die Transformation des politischen Überbaues des südafrikanischen Kapitalismus von der Apartheid zum ANC-Regime – in das auch COSATU und SA„C“P integriert sind – ab den 1990er Jahren widerlegte wieder einmal das marxistisch-leninistische Geschwätz über die angebliche Fortschrittlichkeit des Nationalismus unterdrückter Nationen und der nationalen „Befreiung“. Letztere reproduzierte die Ausbeutung des „weißen“ und des „schwarzen“ Proletariats in Südafrika. Gegen das klassenkämpferische Proletariat ist das ANC-Regime nicht weniger ein tollwütiger Bluthund, wie es das Apartheid-Regime gewesen ist. Hier sehen wir deutlich, dass der reproduktive Klassenkampf nicht immer die rassistischen und nationalistischen Spaltungslinien überwinden kann.

Neben dem Nationalismus/Rassismus ist der Sexismus eine starke Spaltungslinie des Weltproletariats. Proletarische Frauen werden nicht nur im kapitalistischen Produktionsprozess sexistisch extra ausgebeutet und unterdrückt, sondern oft auch daheim in den Familien. Der Journalist und Schriftsteller Christian Baron schrieb darüber, wie der Vater seine Mutter und die Kinder schlug. Gerade proletarische Frauen spüren in dem kollektiven Kampf ihrer Klasse auch ihre individuelle Kraft und Stärke. Der Kampf der proletarischen Frauen hat durch ihre sexistische Extrauausbeutung eine besondere Bedeutung. Er unterscheidet sich auch grundlegend vom kleinbürgerlichen Feminismus. In den letzten Jahren kam es zu einem Aufschwung des Klassenkampfes von Proletarierinnen, zum Beispiel in Spanien und in Lateinamerika. In Spanien kam es jeweils am 8. März 2018 und 2019 zu machtvollen branchenübergreifenden Frauenstreiks als Kern der Straßendemonstrationen.

Branchenübergreifende Massenstreiks sind in der Regel mit proletarischen Straßenbewegungen verbunden. An den machtvollen Massendemonstrationen nehmen auch die nichtlohnarbeitenden Schichten des Proletariats, die innerfamiliären HausarbeiterInnen – überwiegend Frauen –, die Kinder und RentnerInnen sowie die Erwerbs- und Obdachlosen teil. Da die nichtlohnarbeitenden Schichten des Proletariats außerhalb des Produktionsprozesses stehen, ist es für sie schwerer als für die ArbeiterInnen ihre Interessen und Bedürfnisse durchzusetzen. Erwerbs- und Obdachlose sowie die proletarischen Hausfrauen, SchülerInnen und RentnerInnen sind allerdings die Subjekte von Straßenbewegungen. Sowohl von klassenübergreifenden, aber von KleinbürgerInnen politisch dominierten, Sozialbewegungen als auch von vorwiegend proletarischen Straßenbewegungen. So sind Erwerbslosen- und Obdachlosenbewegung proletarisch, während in der oft von Mittelstandsfeministinnen geführten Frauenbewegung die Interessen und Bedürfnisse von Proletarierinnen untergebuttert werden. Branchenübergreifende Massenstreiks die mit machtvollen proletarischen Straßenbewegungen verbunden sind, in denen sich auch die nichtloharbeitenden Unterschichten aktiv einbringen können, sind glanzvolle Höhepunkte des Klassenkampfes. Der gemeinsame kollektive Klassenkampf von Frauen und Männern, „InländerInnen“ und „AusländerInnen“, „Weißen“ und „Farbigen“, Hetero, Homo- und Transsexuellen, LohnarbeiterInnen, proletarischen Hausfrauen/-männer und Erwerbslosen sowie alten und jungen ProletarierInnen schafft tendenziell und potenziell eine Solidargemeinschaft, die ansatzweise über die nur indirekt über die Märkte und den Staat vergesellschafteten Konkurrenzindividuen hinausweist. Im Alltagsleben sind auch ProletarierInnen Konkurrenzindividuen. Doch im kollektiven Klassenkampf überwinden sie ihn notwendigerweise tendenziell.

In ihrem Alltag sind auch ProletarierInnen objektiv Marktsubjekte, nicht wenige von ihnen ideologisieren die Ware-Geld-Beziehung als etwas ganz „Natürliches“ und „Normales“. Aber im Klassenkampf überwinden sie tendenziell die Ware-Geld-Beziehung. Schon individuell, indem sich LohnarbeiterInnen im Produktionsprozess kriminell Produkte aneignen ohne dafür zu bezahlen. Oder auch kollektiv in Form von Plünderungen innerhalb von stark von proletarisch-nichtlohnarbeitenden Unterschichten geprägten Ghettoaufständen und Jugendkrawallen. Während des Streiks hören die LohnarbeiterInnen auf Warenkapital zu produzieren.

Und manchmal sind klassenkämpferische ProletarierInnen des Dienstleistungssektors auch solidarisch gegenüber ihren KundInnen. Ein solcher Klassenkampf war der Streik bei der U-Bahn in Buenos Aires im März 2006, über den Wildcat folgendes berichtete: „Wie ein Streik im öffentlichen Dienst auch geführt werden kann, haben gerade wieder ArbeiterInnen der Subte, der U-Bahn von Buenos Aires vorgeführt: Bahnsteig frei – kassiert wird nicht! Am 15. März konnten sich die Fahrgäste der Subte wieder über einen zeitweiligen Nulltarif freuen. Um ihrer Forderung nach 35 Prozent Lohnerhöhung Nachdruck zu verleihen, hatten die Subte-ArbeiterInnen in den Hauptverkehrszeiten, von 7 bis 10 und von 17 bis 20 Uhr, an den wichtigsten U-Bahn-Stationen die Drehkreuze geöffnet. Diese sind normalerweise nur mit gültigem Führerschein passierbar, und private Wachdienste achten darauf, dass niemand die Barrieren ohne Ticket überspringt. Diese Wachleute sind wiederum gar nicht mit ihrer Auslagerung und den schlechten Arbeitsbedingungen einverstanden. Dreißig von ihnen haben Anfang März in einer der Endstationen für ihre Übernahme durch Metrovias, die Betreibergesellschaft der Subte, demonstriert und dabei – nicht zum ersten Mal – ebenfalls die Fahrgäste umsonst fahren lassen.“ (Buenos Aires: Streik in der U-Bahn – und die Fahrgäste freuen sich, in: Wildcat Nr. 76 vom Frühjahr 2006, S. 66.)

In der Politik sind ProletarierInnen KleinbürgerInnen, die als WählerInnen ihre strukturellen Klassenfeinde, die BerufspolitikerInnen als gesamtgesellschaftliche OrganisatorInnen – sowohl die regierenden Charaktermasken des Staates als auch die systemkonformen parlamentarischen Oppositionellen – ermächtigen. Doch im kollektiven Klassenkampf geraten die ProletarierInnen mit dem Staat als politischen Gewaltapparat der Kapitalvermehrung in Konflikt. Wenn der Staat seine Bullen schickt, wehrt sich manchmal das Proletariat auch militant.

In größeren Klassenkämpfen entfalten sich die revolutionären Tendenzen des Proletariats gewaltig, die Macht des kleinbürgerlichen Alltags über das proletarische Sein und Bewusstsein wird eingeschränkt. Aber solange die Revolution nur tendenziell als potenzielle Möglichkeit kraftvoll aufschimmert, der Klassenkampf aber dennoch (noch?) nicht seine reproduktiven Grenzen sprengt – ja dann, wird er nach gewissen Höhepunkten wieder abflauen. Die Erfahrungen der großen Klassenschlachten sind nicht vergessen, aber der kleinbürgerliche Alltag wird wieder stärker und stärker… Im reproduktiven Klassenkampf kann sich der Widerspruch zwischen kleinbürgerlichen und revolutionären Tendenzen des Proletariats nur bewegen. Progressiv gelöst werden kann er nur durch die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats. Solange das Proletariat existiert, ist es sowohl von kleinbürgerlichen als auch von revolutionären Tendenzen geprägt.

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Proletarisch-revolutionäres Klassenbewusstsein – am klarsten in der von marxistischen Dogmen und Entstellungen befreiten materialistischen Dialektik verkörpert – überwindet geistig die praktischen reproduktiven Grenzen der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit der Bourgeoisie. Es verallgemeinert nicht „nur“ theoretisch die vergangenen und gegenwärtigen praktischen Klassenkämpfe des Proletariats – es ist der geistige Ausdruck der möglichen sozialen Revolution. Diese gedankliche Vorwegnahme einer möglichen zukünftigen revolutionären Zuspitzung des Klassenkampfes ist auch notwendig, um die vollständige geistige Unabhängigkeit der proletarischen und intellektuellen RevolutionärInnen von der politischen Linken zu gewährleisten. Die politische Linke ist wie die Mitte und die Rechte ein struktureller Klassenfeind des Proletariats. Sie reicht vom kleinbürgerlichen Radikalismus bis zur ökoliberal-multikulturell-sexualtoleranten Fraktion der Bourgeoisie.

Politik ist die staatsförmige Organisation der Klassengesellschaft. Die politische Linke klebt am Staat wie Fliegen an der Scheiße. Sie ist in ihrer westeuropäisch-nordamerikanischen Form in erster Linie das Zerfallsprodukt des kleinbürgerlich-radikalen 1968 – nicht zu verwechseln mit der Zuspitzung des proletarischen Klassenkampfes zu dieser Zeit am Ende des kapitalistischen Nachkriegsaufschwunges. Das kleinbürgerlich-radikale 1968 wurde am Anfang von der Studierendenbewegung verkörpert. Sie zerfiel in unzählige marxistisch-leninistische Politsekten – besonders maoistische. Der Marxismus-Leninismus war und ist die Ideologie des „sozialistischen“ Staatskapitalismus. Es war eine Mischung aus der Wirkung des demokratischen Antikommunismus und eines gesunden Klasseninstinktes, dass in der BRD dieser rotlackierten Sozialreaktion verhältnismäßig wenig ProletarierInnen auf dem Leim gingen. Mangels einer proletarischen Massenbasis zog sich der Marxismus-Leninismus einen ideologischen Blaumann über. Dieses operettenhafte „Weltrevolution“-Spiel – was auch aus Peking und Tirana unterstützt wurde – wurde Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre ziemlich out. Statt „Weltrevolution“ war jetzt der „Weltfrieden“ und die „Umwelt“ in. In den 1980er Jahren wurden in der BRD Die Grünen als kleinbürgerliche Protestpartei groß – dabei auch massenhaft ehemalige MarxistInnen-LeninistInnen aufsaugend. Diese Partei ist inzwischen großbürgerlich geworden. Zwischen 1998 und 2005 regierten die Grünen das Land mit und führten die BRD in ihren ersten imperialistischen Angriffskrieg. Das war der Krieg gegen Jugoslawien 1999, den die Grünen natürlich nur führten, um ein Auschwitz in Kosovo zu verhindern. Heute verkörpern Bündnis 90/Die Grünen formvollendet den ökoliberal-multikulturell-sexualtoleranten Flügel der deutschen Bourgeoisie. Große Teile der politischen Linken stellen lediglich den Wurmfortsatz dieser linken Fraktion des Kapitals dar.

Proletarische RevolutionärInnen bekämpfen die kleinbürgerliche politische Linke kompromisslos, weil sie nur das Kapitalverhältnis zu reproduzieren vermag. Im Gegensatz zum proletarischen Klassenkampf, der sich möglicherweise revolutionär zuspitzen kann. Da der reproduktive Klassenkampf auch die Schranken des Kapitalismus nicht zu überwinden vermag, muss das proletarisch-revolutionäre Klassenbewusstsein diese Grenzen geistig überwinden, um unabhängig von der ökoliberalen Fraktion des Kapitals zu sein. Dieser linke Flügel der Bourgeoisie beteiligt sich an der imperialistischen Außenpolitik und am asozialen Klassenkrieg von oben – und setzt Homoehe, „schwarze“ Präsidenten und eine gewisse Frauenquotierung in den Führungsebenen von Politik und Wirtschaft durch. Ob er die Folgen des kapitalistisch produzierten Klimawandels allerdings durch grüne Technik auch nur eindämmen kann, ist mehr als fraglich. Die linke Fraktion der Bourgeoisie verkörpert also die sozialreaktionäre kapitalistische Modernisierung.

Im Alltagsbewusstsein des Proletariats mischen sich in Gegnerschaft zur ökoliberal-multikulturell-sexualtoleranten Fraktion des Kapitals sowohl ein gesunder Klasseninstinkt als auch sozialkonservative, rassistische und sexistische Tendenzen. So verteidigen ProletarierInnen ihre alten „schmutzigen“ Arbeitsplätze gegen die öko-technokratische Modernisierung, bei der sie vielleicht in das unproduktive Elend der Erwerbslosigkeit gestoßen werden. Männlich-heterosexuelle Proletarier reagieren ihren sexistischen Konkurrenzchauvinismus gegen „Weiber“ und „Tunten“ ab, die zunehmend auch die Bourgeoisie – von der sie ausgebeutet werden – repräsentieren. Die Mischung von Klasseninstinkt und starken sozialkonservativen, nationalistisch-rassistischen und sexistischen Tendenzen machen nicht wenige ProletarierInnen zur Manövriermasse der rechten Fraktion des Kapitals, die vom Rechtskonservativismus bis zum Neofaschismus reicht. Der linksbürgerliche Antifaschismus ist der Kampf gegen die rechte Fraktion des Kapitals im Rahmen des Kapitalismus.

Proletarisch-revolutionäres Klassenbewusstsein richtet sich konsequent sowohl gegen die rechte als auch die linke Fraktion des Kapitals. Es stellt der kapitalistischen Modernisierung die mögliche sozialrevolutionäre Aufhebung des Kapitalismus gegenüber. Der grünen Technik, die nichts an den kapitalistischen Produktionsverhältnissen ändert, eine klassen- und staatenlose Gesellschaft, die auch ihre Beziehung zur nichtmenschlichen Mitwelt grundsätzlich umwälzen kann und muss. Proletarische RevolutionärInnen verkörpern auch die Verneinung sowohl des noch immer sexistischen und rassistischen Kapitalismus als auch seiner möglichen frauenquotierten, nichtrassistischen und sexualtoleranten Modernisierung. Die mögliche soziale Revolution muss mit der biologistischen Zuschreibung von sozialen Rollen an Geschlecht und Hautfarbe konsequent Schluss machen. Ob dazu auch die kapitalistische Modernisierung fähig ist, muss sich erst noch zeigen. Aber auf jeden Fall ist sie es nur im Rahmen der Klassenspaltung. Nur die mögliche soziale Revolution kann auf wirklich progressive Weise Rassismus und Sexismus aufheben.

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