Die konsequente Kritik des Anarchosyndikalismus und des Parteimarxismus ist eine absolute Notwendigkeit!
Eine Selbstkritik
Wie schmal der Grat zwischen Opportunismus und SektiererInnentum ist, auf dem sich SozialrevolutionärInnen bewegen, wird besonders deutlich, wenn sie auf der einen oder anderen Seite heruntergefallen sind. Sowie sie dies bemerken, sind Selbstkritik und Fehlerkorrektur angesagt. Damit der Weg auf dem schmalen Grat weitergeht.
Opportunistischer „Minimalkonsens“ in der Antikriegsfrage
So heißt es in unserer Schrift Für eine revolutionäre Antikriegsposition vom Januar 2024: „Das Vertreten von revolutionären Antikriegspositionen ist für die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) ein wichtiger praktisch-geistiger Impuls zur Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes und -bewusstseins. Wir halten es für richtig, möglich und notwendig, im Kampf gegen das permanente kapitalistische Abschlachten ein Bündnis mit anderen revolutionären Kräften (zum Beispiel: Links- und RätekommunistInnen sowie revolutionäre AnarchistInnen) einzugehen.
Nach Meinung der AST ist dafür ein Minimalkonsens einer revolutionären Antikriegsposition notwendig, die sowohl ein Absinken in den Sumpf des Sozialreformismus, der grundsätzlich nur den Kapitalismus und damit auch die Quelle der zwischenstaatlichen Konkurrenz reproduzieren kann, verhindert als auch gegen das SektiererInnentum schützt.
Der von uns unten formulierte Minimalkonsens einer revolutionären Antikriegsposition ist nach unserer Meinung das praktisch-geistige Fundament für das gemeinsame Agieren von RevolutionärInnen in der Frage des Kampfes gegen den kapitalistischen Krieg. Diese Gemeinsamkeit kann bei internationalen Treffen, das gemeinsame Agieren auf reformistisch-pazifistischen ,Friedensdemonstrationen´ und in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen zum Ausdruck kommen. Wichtig ist dabei auch, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen revolutionären Kräften nicht verschwiegen oder unter den Teppich gekehrt werden. Also, dass die unterschiedlichen Subjekte in den verschiedenen praktischen revolutionären Antikriegsbündnissen ihre praktisch-geistige Eigenständigkeit bewahren können.
Unser Minimalkonsens für eine revolutionäre Antikriegsposition:
1. Der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus ist keine Alternative zum imperialistischen Krieg, sondern dessen Quelle.
2. Nationale ,Befreiung´ und ,Selbstbestimmung´ sind Futter der zwischenstaatlichen Konkurrenz. Nationale ,Befreiung´ führt nur zur Neugründung kapitalistischer Staaten beziehungsweise nationaler ,Autonomie´ in bestehenden (zum Beispiel: kurdischer Nationalismus in Syrien und im Irak) und ist Spielzeug der Imperialismen. Im permanenten Konkurrenzkampf der Nationen unterstützen RevolutionärInnen keine Seite, sondern bekämpfen alle Seiten. Langfristig muss das Weltproletariat alle Nationen als Scheingemeinschaften aus Kapital und Lohnarbeit revolutionär zerschlagen und die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft gebären.
3. Gegen den prokapitalistischen und proimperialistischen Antifaschismus. SozialrevolutionärInnen bekämpfen die Demokratie kompromisslos – so wie alle anderen Staatsformen. Sie kämpfen gegen FaschistInnen, Nazis sowie Militärputsche und -diktaturen, aber verteidigen niemals die Demokratie. So wie der Antifaschismus im Zweiten Weltkrieg und im spanischen BürgerInnenkrieg demokratische Regimes gegen faschistische Staaten und Militärputsche unterstützte und damit das große kapitalistische Massaker am Weltproletariat mit organisierte, ist er auch heute in den verschiedenen Gemetzeln Teil der Rechtfertigungsideologien.
4. Nur das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat hat die Potenz die imperialistischen Kriege progressiv durch die Zertrümmerung des Kapitalismus zu beenden.
Innerhalb dieses Minimalkonsenses sind wir zu Bündnissen mit anderen revolutionären Kräften bereit und solidarisch mit ihren Aktivitäten gegen den permanenten kapitalistischen Weltkrieg.“ (Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz, Für eine revolutionäre Antikriegsposition, in: Dieselbe, Schriften gegen kapitalistischen Krieg und Frieden (2022-2024), S. 31.)
KennerInnen unserer Positionen werden folgenden Widerspruch in diesem Minimalkonsens in der Antikriegsfrage erkennen: Die vier Punkte sind sowohl für radikale AnarchosyndikalistInnen als auch ParteimarxistInnen (besonders für „LinkskommunistInnen“) annehmbar, obwohl wir bestreiten, dass es in der Praxis revolutionäre Gewerkschaften und Parteien geben kann. Letztendlich kann nur die soziale Revolution kapitalistischen Frieden und Krieg überwinden. Okay, das ist auch im vierten Punkt des Minimalkonsenses ausgedrückt. Aber was nutz es, wenn sich radikale AnarchosyndikalistInnen, ParteimarxistInnen sowie gewerkschafts- und parteifeindliche RevolutionärInnen abstrakt zur „Revolution“ bekennen, sich aber konkret jeweils etwas anderes darunter vorstellen?
Nun könnte mensch argumentieren – so, wie wir damals –, dass mensch mit diesen Unterschieden leben müsse, um notwendig das SektiererInnentum in der Antikriegsfrage zu überwinden. Doch diese Argumentation ist aus zwei Gründen fadenscheinig.
Erstens wird unsere notwendige Kritik am Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus praktisch abgeschwächt, wenn wir in der Antikriegsfrage mit den radikalsten Ausdrücken der beiden Strömungen zusammenwirken würden.
Zweitens kann die Praxis von revolutionären Kleingruppen sowieso nicht kapitalistischen Frieden und Krieg aufheben. Das kann nur das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat. Revolutionäre Kleingruppen können nur Impulse zur Radikalisierung des Klassenbewusstseins geben. Die Darlegung, dass es keine revolutionären Parteien und Gewerkschaften geben kann, gehört untrennbar zu unseren Positionen. Wenn wir dies zugunsten von praktischen Bündnissen mit radikalen ParteimarxistInnen und AnarchosyndikalistInnen abschwächen würden, dann wäre das opportunistisch.
Dann ist es besser, wenn radikale AnarchosyndikalistInnen und ParteimarxistInnen auf der einen Seite und gewerkschafts- und parteifeindliche RevolutionärInnen auf der anderen ihre Gegnerschaft zum imperialistischen Krieg und bürgerlichen Frieden getrennt voneinander zum Ausdruck bringen. Erstens wird dann unsere Kritik am Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus nicht abgeschwächt. Das ist kein SektiererInnentum. Denn erstens gibt es weltweit mehrere sozialrevolutionäre Gruppen, die sowohl Gewerkschaften als auch politische Parteien grundsätzlich bekämpfen, mit denen die AST das Bündnis nicht nur in der Antikriegsfrage suchen muss. Und zweitens wäre ein opportunistisches Bündnis mit radikalen parteimarxistischen und anarchosyndikalistischen Organisationen in nichtrevolutionären Zeiten kurzfristig genauso wenig wirksam wie keines. Aber: „Getrennt marschieren und getrennt zuschlagen“ sorgt für mehr geistige Klarheit, die immer auch eine langfristige praktische Auswirkung hat.
So fehlte beim Minimalkonsens in der Antikriegsfrage der fünfte Punkt: „Da es keine revolutionären politischen Parteien und Gewerkschaften geben kann, sind für uns keine praktischen Bündnisse mit parteimarxistischen und anarchosyndikalistischen Organisationen möglich.“
Natürlich muss noch definiert werden, was wir unter einem praktischen Bündnis verstehen, nämlich das gemeinsame Agieren unter einer theoretischen Plattform. So kann die AST kein gemeinsames Flugblatt mit AnarchosyndikalistInnen und ParteimarxistInnen schreiben und verteilen. Was kein praktisches Bündnis darstellt, ist zum Beispiel eine öffentliche Veranstaltung, auf der neben marxistischen Parteien und anarchosyndikalistischen Gewerkschaften auch die AST ihre unterschiedlichen Auffassungen darlegt. So etwas sorgt für geistige Klarheit. Deshalb kann die AST an einer öffentlichen Antikriegsveranstaltung, wo sie unter anderem ihre Gewerkschafts- und Parteifeindlichkeit darlegt, teilnehmen.
Keine Einheitsfront mit dem Parteimarxismus und Anarchosyndilaismus!
Unsere fehlende geistige Klarheit beim Formulieren eines „Minimalkonsenses“ in der Antikriegsfrage führte teilweise zu einer opportunistischen Praxis, die wir hier kritisieren werden.
Der fehlerhafte „Minimalkonsens“ ermöglichte praktische Bündnisse mit radikalen anarchosyndikalistischen und parteimarxistischen Organisationen. Er hatte deshalb eine opportunistische Tendenz. Das fühlten auch wir instinktiv beim Abfassen des Textes Für eine revolutionäre Antikriegsposition. So versuchten wir das praktische Bündnis irgendwie auf einzelne AnarchosyndikalistInnen zu beschränken, aber anarchosyndikalistische Gewerkschaften draußen zu halten. Was allerdings in der Praxis unmöglich ist. So hieß es an anderer Stelle unserer Schrift, aber eben nicht bei der Formulierung des „Minimalkonsens“: „Mit den Gewerkschaften und ihren hauptamtlichen FunktionärInnen sind keine revolutionären Antikriegsbündnisse möglich.“ (Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz, Für eine revolutionäre Antikriegsposition, a.a.O., S. 20.)
Beim „Linkskommunismus“ logen wir uns selbst in die eigene Tasche, indem wir uns sagten, dass zwar die Internationale „Kommunistische“ Strömung (I„K“S) und die Internationalistische „Kommunistische“ Tendenz (I„K“T) den Aufbau „revolutionärer Parteien“ anstreben, aber selbst (noch) keine sind. Nein, sie sind „nur“ ideologische ParteimarxistInnen! Aber der versuchte Selbstbetrug zeigte auch auf, dass wir uns in unserem teilweisen Opportunismus selbst nicht wohl fühlten. Was eine Voraussetzung dafür war, dass wir ihn später bewusst überwinden konnten.
Die AST hatte bis in das Jahr 2024 hinein noch die Illusion, dass sie in der Frage einer revolutionären Antikriegsposition mit „linkskommunistischen“ Organisationen praktisch in Form eines Bündnisses zusammenwirken könne. Inzwischen hat sich die AST von dieser Illusion befreit und lehnt jedes organisatorische Bündnis mit dem „linkskommunistischen“ Parteimarxismus ab.
Dies ist kein SektiererInnentum. Nur die Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes zur sozialen Revolution kann die imperialistischen Gemetzel und die Gefahr eines atomaren Overkills überwinden. Dem würden auch die „LinkskommunistInnen“ zustimmen. Doch was sie sich konkret unter einer sozialen Revolution vorstellen, ist alter parteimarxistischer Müll, der schon lange dekadent und potenziell konterrevolutionär ist. Während wir antipolitischen SozialrevolutionärInnen unter der sozialen Revolution die Aufhebung der Warenproduktion und die Zerschlagung des Staates durch das sich selbst aufhebende Proletariat verstehen, strebt der „Linkskommunismus“ noch immer die unmögliche „politische Machteroberung des Proletariats“ an. Eine „Kommunistische“ Partei soll es dabei „führen“, aber nicht die politische Macht übernehmen, sondern eben das Proletariat. Was dieses aber in der Wirklichkeit gar nicht kann, sondern nur politische Parteien und BerufspolitikerInnen können die politische Macht erobern. So wie im Oktober 1917 – nach dem alten russländischen Kalender – die bolschewistische Partei die politische Staatsmacht in Russland eroberte. Interessanterweise sieht der „Linkskommunismus“ in diesem bolschewistischen Staatsstreich, der folgerichtig in einem staatskapitalistischen Regime mündete, noch immer eine „proletarische Revolution“. Die heutigen „LinkskommunistInnen“ der I„K“T und der I„K“S lehnen die politische Machteroberung durch „Kommunistische“ Parteien ab. Doch sie halten an dem parteimarxistischen Dogma fest, dass in einer sozialen Revolution das Proletariat die politische Macht erobern solle, was es praktisch nicht kann. Es kann möglicherweise nur den Staat antipolitisch-sozialrevolutionär zerschlagen, das heißt, sich selbst aufheben. Nach der „linkskommunistischen“ Ideologieproduktion soll jedoch ein „Halbstaat“ entstehen. Es kann jedoch in der Wirklichkeit keine „Halbstaaten“ geben. Sondern nur ganze Staaten und die sind immer sozialreaktionär. Gerade das, was sich der „Linkskommunismus“ unter „Revolution“ vorstellt, sind also seine konterrevolutionär-sozialreaktionären Tendenzen. Es liegt auf der Hand, dass es deshalb keine organisatorischen Bündnisse zwischen „LinkskommunistInnen“ und antipolitischen SozialrevolutionärInnen geben kann.
2023/2024 hatte die AST im Rahmen ihrer Antikriegsaktivitäten gewisse Kontakte zur I„K“S und zur I„K“T, die jedoch noch nicht in wirklichen praktischen Bündnissen mündeten. Diese Kontakte sehen wir heute als Fehler an. Keine Einheitsfronten zwischen antipolitischen SozialrevolutionärInnen und dem „Linkskommunismus“! Außerdem nahmen wir an mehreren Online-Treffen von verschiedenen Gruppen teil, die eine Neuauflage der nationalpazifistischen „Zimmerwald-Konferenz“ anstrebten und diese idealisierten. Doch irgendwann verließen wir diese Treffen – auf dem die I„K“S zum Beispiel die revolutionäre Kritik am Antifaschismus praktisch fallen ließ wie eine heiße Kartoffel. Dass wir überhaupt anfänglich an diesen Treffen teilnahmen, war ebenfalls ein Fehler.
Außerdem bekamen wir durch unseren opportunistischen „Minimalkonsens“ in der Antikriegsfrage auch Zustimmung von falschen Seiten, nämlich von leninistischen AntistalinistInnen und radikalen AnarchosyndikalistInnen. Eben weil unser damaliger „Minimalkonsens“ in der Antikriegsfrage nicht den Ausschluss von Einheitsfronten mit parteimarxistischen und anarchosyndikalistischen Organisationen enthielt. Ein Fehler!
Selbstkritische Fehlerkorrektur
Die selbstkritische Reflektion unserer geistigen Unklarheiten und praktischen Fehler führten zu deren Korrektur. Noch einmal in aller Deutlichkeit: Die AST lehnt jedes praktische Bündnis mit parteimarxistischen und anarchosyndikalistischen Organisationen ab. Wir treten für eine globale Vernetzung von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen auf der Grundlage einer scharfen Kritik an Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus ein (siehe unsere gleichnamige Schrift).
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