Wir wollen hier die Entwicklung des deutsch-niederländischen und des italienischen Linkskommunismus darstellen. Beginnen wir mit dem Linkskommunismus in Deutschland. Die meisten radikalmarxistischen ProletarierInnen und Intellektuellen waren in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg in der Sozialdemokratie desorganisiert. Sie waren objektiv das revolutionäre Feigenblatt einer sozialreformistischen – also sozialreaktionären! – Partei. Eine rühmliche Ausnahme war der spätere rätekommunistische Intellektuelle Franz Pfemfert, der schon vor 1914 das staatstragend-nationale Wesen der deutschen Sozialdemokratie in deutlichen Worten hart auseinandernahm (siehe auch Kapitel III.6). Seit Februar 1911 brachte er die radikale Zeitschrift Die Aktion heraus. Unsere heutigen antinationalen Positionen haben wir SozialrevolutionärInnen auch Pionieren wie Pfemfert zu verdanken. Auf die kapitalistische Zivilisationsbarbarei des Ersten Weltkrieges reagierte er mit der Gründung der kleinen, aber wichtigen Antinationalen Sozialistischen Partei (ASP).
Aber auch innerhalb der Sozialdemokratie radikalisierten sich die marxistischen Intellektuellen und ArbeiterInnen. Der radikale Marxist Karl Liebknecht überwand im Dezember 1914 als erster und einziger Reichstagsabgeordnete der SPD die Fraktionsdisziplin und stimmte gegen die Kriegskredite. Die radikalen MarxistInnen um Luxemburg und Liebknecht lehnten den imperialistischen Krieg aus revolutionärer Perspektive klar und grundsätzlich ab. Im März 1916 schlossen sich viele von ihnen zum Spartakusbund zusammen. In der SPD entwickelte sich neben dem Spartakus-Bund auch eine gemäßigtere Oppositionsgruppe, der sich schließlich auch Kautsky und Bernstein anschlossen. Diese Strömung befürwortete das globale Gemetzel zwar als „nationalen Verteidigungskrieg“, verurteilte aber dessen imperialistischen Charakter und richtete sich gegen jede Annexionsbestrebung. Diese schwammige Haltung war natürlich objektiv reaktionär. Anfang 1916 trennte sich im Reichstag diese gemäßigte Oppositionsströmung als „Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft“ von der SPD-Fraktion. Im April 1917 schlossen sich die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft und der Spartakusbund zur Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) zusammen. Der Spartakusbund behielt zwar seine organisatorische Selbständigkeit, objektiv muss aber dessen Mitgliedschaft in diesem sozialdemokratischen Verein ganz klar als eine konservative Tendenz – besonders von Rosa Luxemburg – betrachtet werden. Und dass in einer Zeit, die den konsequenten Bruch mit der Sozialdemokratie erforderte.
Zur Friedendemonstration am 3. Oktober 2024 in Berlin
Der Pazifismus
Der Pazifismus tritt als bürgerliche Ideologie für Frieden und Kooperation zwischen den Staaten und für deren freiwillige kollektive Abrüstung ein. Das ist ein Berg aus Illusionen, der angesichts imperialistischer Gemetzel rasch in sich zusammenfällt. Zwischen kapitalistischen Staaten herrscht nun mal Konkurrenz und der Frieden zwischen ihnen ist lediglich die nichtmilitärische Form der Konkurrenz, der auf Hochrüstung beruht. Die Staaten werden niemals freiwillig kollektiv nennenswert abrüsten. Die Forderung an die Staaten, sie sollten das tun, ist illusorisch. Es kann nur eine wirkliche Abrüstung geben: die weltrevolutionäre Zerschlagung aller Staaten! Klassenkrieg statt bürgerlicher Frieden!
Bürgerlicher Frieden kann im Weltkapitalismus nur der Zustand zwischen den Kriegen sein. Die PazifistInnen behaupten Diplomatie sei eine Alternative zum imperialistischen Krieg. Dass die DiplomatInnen von denselben Staaten in Marsch gesetzt werden, die auch Armeen auf- und einmarschieren lassen, irritiert sie dabei nicht sonderlich. Die Diplomatie ist eine Waffengattung des nichtmilitärischen Konkurrenzkampfes, wo das wirtschaftliche und militärische Potenzial von Staaten als deren Basis immer die wichtigste Rolle spielt. Staatliche Diplomatie bereitet im Frieden den Krieg vor und im Krieg den Frieden, aber grundsätzlich verhindern kann und will sie den Krieg nicht.
Wir heutigen SozialrevolutionärInnen stützen uns bei der Kritik an Marx und Engels als PolitikerInnen der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung auch kritisch auf Bakunin. Aber wenn wir Bakunin in der Auseinandersetzung mit Marx zustimmend zitieren, ist das nicht als Parteinahme für den Anarchismus misszuverstehen. In Deutschland, so schrieb Bakunin in Staatlichkeit und Anarchie, „unterwerfen sich die deutschen Arbeiter blind ihren Führern, während die Führer, die Organisateure der sozialdemokratischen deutschen Partei, sie weder zur Freiheit noch zur internationalen Brüderschaft führen, sondern unter das Joch des pangermanistischen Staates.“ (Zitiert nach: Rudolf Bahro, Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, Verlag Tribüne Berlin, 1990, S. 47/48.)
Rudolf Bahro war früher mal oppositioneller Marxist gegen die SED-Parteidiktatur. Später vertrat dieser Mann sehr krude ökoidealistische Positionen, die auch ökofaschistische Bestandteile enthielten. Doch sein halbmaterialistisches Buch Die Alternative ist ein interessantes Werk. So schrieb Bahro zu Bakunins Kritik an der Sozialdemokratie: „Was Engels 1895 nicht ahnte, das stellte sich Bakunin 1873 fast leibhaftig vor, den ,Aufbruch‘ der deutschen Sozialdemokratie im Jahre 1914.“ (Rudolf Bahro, Die Alternative, a.a.O.,S. 48.)
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