2. Reproduktiver Klassenkampf
Der reproduktive Klassenkampf ist Ausdruck des dialektischen Widerspruches zwischen Kapital und Lohnarbeit. Er ist auch widersprüchlicher Teil dieses Widerspruches. Der reproduktive Klassenkampf im Rahmen des Kapitalismus verkörpert sowohl den Gegensatz als auch die Einheit zwischen Bourgeoisie und Lohnabhängigen. In ihm bewegt sich der dialektische Widerspruch zwischen Kapital und Lohnarbeit als deren Einheit und Kampf. Der Kampf wird von den Lohnabhängigen aufgenommen, aber nicht um den Gegensatz zur Bourgeoisie so weit zu steigern, um die widersprüchliche Einheit des kapitalistischen Produktionsprozesses grundsätzlich aufzuheben. In der Arbeitsniederlegung wird zwar vorübergehend durch die Austragung der Klassengegensätze die widersprüchliche Einheit aus Bourgeoisie und Lohnabhängigen im kapitalistischen Produktionsprozess aufgehoben. Aber die Ziele des reproduktiven Klassenkampfes – höhere Löhne, geringere Arbeitszeit/-intensität beziehungsweise die Verhinderung der Erhöhung der Ausbeutung durch die Bourgeoisie – beinhalten die Wiederherstellung der widersprüchlichen Einheit aus Kapital und Lohnarbeit. Der Klassengegensatz wird ausgetragen, nicht um die Einheit aus Kapital und Lohnarbeit aufzuheben, sondern um sie unter sozialreformistisch veränderten Bedingungen wiederherzustellen. Die reproduktiven Schranken des Klassenkampfes verkörpern die Einheit aus Kapital und Lohnarbeit selbst im ausgetragenen Gegensatz. Bleibt der proletarische Klassenkampf im Rahmen des Kapitalismus, dann kann sich in ihm nur der dialektische Widerspruch zwischen Bourgeoisie und Lohnabhängigen als deren gegensätzliche Einheit bewegen, aber er kann nicht durch ihn aufgehoben werden.
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Der reproduktive Klassenkampf des Proletariats im Rahmen des Kapitalismus hat sowohl sozialkonservative und modernisierende als auch revolutionäre Tendenzen. Die sozialkonservativen Tendenzen sind schon im Begriff „reproduktiver Klassenkampf“ dargelegt: Der Kapitalismus wird durch ihn reproduziert, aber eben nicht revolutionär aufgehoben.
Doch die Lohnabhängigen treten in den Klassenkampf entweder um das Verhältnis zur Bourgeoisie zu ihren Gunsten zu verändern oder eine Verschiebung zu ihren Ungunsten zu verhindern. Sowohl der Klassenkampf von unten als auch der von oben verändern den kapitalistischen Produktionsprozess. Der Kapitalismus wird also vom reproduktiven Klassenkampf nur dadurch aufrechterhalten, indem er verändert wird. Die modernisierenden Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes relativeren dessen sozialkonservativen. Der reproduktive Klassenkampf ist nicht absolut sozialkonservativ, sondern lediglich relativ-tendenziell im Verhältnis zur durch ihm erfolgenden kapitalistischen Modernisierung und der möglichen sozialen Revolution.
Schauen wir uns die modernisierenden Tendenzen des Klassenkampfes genauer an. Erkämpfen sich die Lohnabhängigen eine geringere Arbeitszeit, dann versucht das Management der Einzelkapitale dies durch eine Intensivierung der Produktion und der Ausbeutung der Lohnabhängigen zu kompensieren. Die Lohnabhängigen sollen dann in der kürzeren Arbeitszeit mindestens genauso viel, aber möglichst noch mehr Profit als vorher produzieren. Das erreicht das Management zum Beispiel durch die Erhöhung der Maschinenlaufzeit. Die Länge der Arbeitszeit und die Intensität der Arbeit sind umgekehrt proportional. Je länger die Arbeitskräfte arbeiten, umso geringer kann aufgrund der Begrenztheit ihrer körperlichen und geistigen Kräfte die Intensität ihrer Ausbeutung durch das Kapital sein.
Erkämpfen die Lohnabhängigen zum Beispiel höhere Löhne, dann könnte es sein, dass für die Einzelkapitale nun Maschinen lukrativ und einsetzbar erscheinen, was vor dem offen ausgetragenen Klassengegensatz noch nicht der Fall war. Maschinen sind von den Einzelkapitalen nur dann profitabel einsetzbar, wenn ihre Preise niedriger sind als die Löhne der ArbeiterInnen, die sie ersetzen. So kann der Einsatz von Maschinen bei niedrigen Löhnen in Einzelfällen nicht profitabel genug sein – er kann es aber durch einen klassenkämpferisch erzwungenen Anstieg der Löhne werden. Der Einsatz von neuen Maschinen durch das einzelkapitalistische Management ist sowohl eine Modernisierung des Produktionsprozesses als auch ein Akt des Klassenkampfes von oben. Maschinerie ersetzt tendenziell lebendige Arbeitskraft. Das muss nicht zwangsläufig zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit führen. Der Einsatz neuer Maschinen, der lebendige Arbeitskraft ersetzt, kann durch eine beschleunigte Kapitalvermehrung – die Erweiterung alter und die Errichtung neuer Produktionsstandorte – kompensiert werden. Erlahmt jedoch die Kapitalvermehrung krisenbedingt, führt die technologische Erneuerung des Produktionsprozesses tendenziell zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit führt zur Schwächung des Proletariats im Verhältnis zur Bourgeoisie, was zum tendenziellen Sinken der Löhne führen kann. Mit dem tendenziellen Sinken der Löhne steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Einsatz von Maschinen für bestimmte Einzelkapitale nicht mehr profitabel genug erscheint…
Wir sehen an diesem Beispiel, wie der proletarische Klassenkampf nicht nur den kapitalistischen Produktionsprozess verändert, sondern diese Veränderung auch wieder auf den Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Lohnabhängigen zurückwirkt. Die Erhöhung der Arbeitsproduktivität führt zu technologisch bedingten Änderungen in der Zusammensetzung der Belegschaften. Eine andere Folge ist, dass das Industrieproletariat im Verhältnis zu den Lohnabhängigen der Dienstleistungsbranchen personell schwächer wird. Zwischen der Entwicklung des kapitalistischen Produktionsprozesses und dem Klassenkampf besteht ein ganzer Komplex von Wechselwirkungen.
Die sozialkonservativen und modernisierenden Tendenzen des Klassenkampfes stellen eine Verneinung der Verneinung dar. Der proletarische Klassenkampf in seiner offensichtlichsten Form ist die Arbeitsniederlegung. Sie ist die vorübergehende Verneinung des kapitalistischen Produktionsprozesses. Die Wiederaufnahme der Arbeit ist die Verneinung des Streiks, also die Verneinung der Verneinung, die zugleich die faktische Wiederbejahung des kapitalistischen Produktionsprozesses ist. Doch der Produktionsprozess ist jetzt anders. Zum Beispiel ist durch die durch Streik erkämpfte Erhöhung des Lohnes die selbstreproduktive Arbeitszeit – jene Zeit, in der die ArbeiterInnen einen Tauschwert produzieren, der ihrem Lohn entspricht – relativ zur Mehrarbeitszeit, in der sie den Mehrwert für die Bourgeoisie herstellen, gestiegen. Und damit ist auch der Mehrwert gesunken.
Die Bourgeoisie eines Einzelkapitals kann nun – wenn es das Kräfteverhältnis zulässt – in einem Akt des Klassenkampfes von oben die Maschinenlaufzeit erhöhen, um das Verhältnis von selbstreproduktiver und Mehrarbeitszeit wieder zu ihren Gunsten zu verschieben. Durch die Erhöhung der Maschinenlaufzeit sinkt die selbstreproduktive Zeit und damit ihr Verhältnis zur Mehrarbeitszeit. Die Mehrarbeitszeit und damit der Mehrwert wachsen wieder. Der Klassenkampf ist neben der kapitalistischen Konkurrenz die Haupttendenz zur permanenten Erneuerung und Modernisierung der bürgerlichen Gesellschaft. Er ist eine spiralförmige Bewegung – mal nimmt der Klassenkampf ab, mal wächst er –, die sich mit der ebenfalls spiralförmigen Kapitalvermehrung (Aufschwung und Krise) in einem ständigen dynamischen Wechselverhältnis befindet.
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Doch auch das Proletariat ist nach der Wiederaufnahme der Arbeit nach einem längeren Streik – der Verneinung der Verneinung – ein anderes als vorher. Es hat im Streik seine kollektive Kraft gespürt. Das Proletariat hat sich im Klassenkampf kollektiv selbst organisiert. Auf den Arbeits- und Konsumgütermärkten sind die ProletarierInnen auch untereinander konkurrierende individuelle Marktsubjekte. Nach der Vermietung ihrer Arbeitskraft werden sie vom Kapital zum Kollektiv, zum menschlichen produktiven Kapital geformt. Ein fremdbestimmtes Kollektiv, dass den kapitalistischen Reichtum vermehrt. Im Klassenkampf werden die Lohnabhängigen zu einem Kollektiv für sich, dass für eigene Bedürfnisse und Interessen kämpft. Diese klassenkämpferische Selbstorganisation der Lohnabhängigen ist eine wichtige revolutionäre Tendenz.
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