8. Antifeudale Revolution und bürgerliche Konterrevolution in England und Frankreich
Wie wir im Kapitel 7. Politische Formen der kapitalistischen Herrschaft darlegten war der europäische Absolutismus eine Staatsform der Übergangsperiode vom Feudalismus zum Kapitalismus. In England und Frankreich wurde der Absolutismus im 17. und 18. Jahrhundert durch die politische Machteroberung der Bourgeoisie überwunden. Diese wurde vom Marxismus als „bürgerliche Revolution“ idealisiert. Die politische Machteroberung der Bourgeoisie in England und Frankreich war aber der dialektische Umschlag der antifeudalen Revolution in die bürgerliche Konterrevolution. Der marxistische Begriff „bürgerliche Revolution“ ist unfähig dazu, dass Umschlagen der antifeudalen Revolution in die bürgerliche Konterrevolution klar in Worte zu fassen.
Beschreiben wir diesen Prozess in England etwas genauer. Es häufte sich durch Kolonialismus, Versklavung afrikanischer Menschen in Amerika und Piraterie auch in England ein enormes Handelskapital an. Gleichzeitig wurde der Adel durch dessen bewaffnete Fehden zwischen 1449 und 1485 stark geschwächt, was wiederum das relative Gewicht der entstehenden Bourgeoisie stärkte. Die Monarchie begann das englische Handelskapital politisch zu unterstützen. Ab dem 16. Jahrhundert begann sie sich beim englischen einheimischen Kapital zu verschulden. Gegen Ende des 16 Jahrhunderts entwickelte sich in England eine kapitalistische Landwirtschaft. KapitalistInnen pachteten von den sich langsam verbürgerlichenden Großgrundbesitzern Land und ließen LandarbeiterInnen einen Mehrwert produzieren, aus dem sie auch die Rente an die Großgrundbesitzer bezahlten. Am Rande der Städte und im ländlichen Raum, wo die Zunftgesetze nicht galten, die die kleinbürgerliche Warenproduktion gegen die sich herausbildende kapitalistische Produktionsweise schützen sollten, entwickelten sich Manufakturen, die ersten Inseln des produktiven Kapitals.
Durch die nationalstaatliche Trennung Englands von der Katholischen Kirche und der Schaffung einer englischen Bischofskirche floss auch nicht mehr ein großer Teil des nationalen Reichtums nach Rom, was auch im Interesse der englischen Bourgeoisie war. Doch die anglikanische Bischofskirche war der mächtigste Ideologieapparat der Monarchie, welche sich teilweise gegen die Interessen der englischen Bourgeoisie richtete. Zwar unterstützte die englische Bourgeoisie die zentralstaatliche Stärkung der Monarchie gegen lokale Feudalgewalten, weil sich dadurch die ersten Ansätze eines modernen Nationalstaates herausentwickelten, aber die absolute Monarchie blieb dennoch der politische Überbau einer vergehenden feudalen Epoche. So begann sich die Bourgeoisie ideologisch und politisch von der Monarchie zu emanzipieren. Die ideologische Emanzipation war für die damalige Zeit notwendigerweise stark religiös geprägt, es entwickelte sich ab dem 16. Jahrhundert der Puritanismus als englische Form der christlichen Reformation heraus. Die englische Bourgeoisie schuf sich durch das Parlament auch eine politische Interessenvertretung gegenüber der Monarchie, die Geschichte des englischen Parlamentarismus reicht bis in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts zurück. Das bürgerliche Element in den Parlamenten versuchte besonders in der Zoll- und Steuerpolitik die monarchistische Eigenmächtigkeit zu brechen, die KönigInnen und ihre Anhänger wiederum pochten auf ihre absolute Macht. Die absolute Macht der Monarchie zu brechen und sie zu einem Aushängeschild des bürgerlichen Parlamentarismus zu machen, also den politischen Überbau an die Basis der kapitalistischen Wirtschaft anzupassen, das war der ganze politische Inhalt des Prozesses, den auch MarxistInnen grob vereinfachend „bürgerliche Revolution“ in England nennen.
Zwischen 1642 und 1649 wurde der Kampf zwischen bürgerlichem Parlamentarismus und absoluter Monarchie, personifiziert im König Karl I., bewaffnet in Form eines BürgerInnenkrieges ausgetragen. Doch der gemäßigte Flügel der Bourgeoisie, die Presbyterianer, strebte nicht wirklich nach einer militärischen und damit nach einer politischen Niederlage der Monarchie, sondern hinter den Kulissen nach einer Verständigung mit Karl I. Dieser ging zum Schein darauf ein, wartete aber nur darauf, in einer günstigen Gelegenheit mit allen seinen bürgerlichen Gegnern abzurechnen. Der radikalere Flügel der Bourgeoisie, die Independenten, der in dem Heerführer Oliver Cromwell seine vollendete Personifizierung fand und der unter starkem Druck der kleinbürgerlich-proletarischen Basis der Parlamentsarmee stand, strebte mehr oder weniger deutlich zur Zerschlagung der Monarchie. Während die Presbyterianer das Parlament beherrschten, stand die Parlamentsarmee eindeutig unter der Führung der Independenten. Dieser Fraktionskampf innerhalb der Bourgeoisie wurde so gelöst, indem die Independenten mit Hilfe der Armee Ende 1648 das Parlament von den Presbyterianern säuberten, den König entmachteten und hinrichteten und am 19. Mai 1649 England zur Republik erklärten.
Doch in diesem Krieg zwischen Parlament und Monarchie kamen nicht nur die sozialen Interessen der Bourgeoisie zum Ausdruck, sondern auch sowohl die der kleinbürgerlichen und proletarischen Soldaten der Parlamentsarmee als auch einer kleinbürgerlich-vorindustrieproletarischen Sozialbewegung. Auch politideologisch wurden die Interessen der kleinbürgerlichen und proletarischen Schichten schon zum Ausdruck gebracht. Die Levellers waren mit ihren radikaldemokratischen Forderungen nach einem allgemeinen und direkten Wahlrecht für alle Engländer eine eher kleinbürgerlich-radikale Strömung. Viele ihrer Forderungen, welche für die damalige Bourgeoisie unannehmbar waren, sind in die heutigen demokratischen Herrschaftstechniken integriert. Doch auch die radikaleren proletarischen Bedürfnisse drängten zu einem theoretischen Ausdruck. So wurden dann die Diggers, die einen religiös ummantelten Kommunismus vertraten und sich auch radikal gegen die heiligsten Werte der Bourgeoisie wie Privateigentum und Geld wandten, zum praktisch-geistigen Ausdruck des klassenkämpferischen vorindustriellen Proletariats (Handwerksgesellen, Lehrlinge, Tagelöhner, Matrosen, Land-, Bergwerks- und ManufakturarbeiterInnen).
Die Independenten waren als die radikale Fraktion der Bourgeoisie gezwungen die kleinbürgerlich-proletarische Straßenbewegung als sozialer Hauptbasis der antimonarchistischen Revolution, die auch schon klar antikapitalistische Tendenzen zeigte, niederzuschlagen. Sie erstickten dann auch jeden kleinbürgerlich-proletarischen Widerstand in toleranzloser Repression. Die politische Machteroberung der Independenten war also der Höhepunkt der antimonarchistischen Revolution und gleichzeitig der Umschlagmoment in die bürgerliche Konterrevolution gegen die kleinbürgerlich-proletarische Sozialbewegung. Auch der radikale antimonarchistische Flügel der Bourgeoisie war absolut sozialreaktionär. Indem der marxistische Begriff „bürgerliche Revolution“ nicht klar genug zwischen antimonarchistischer Revolution und bürgerlicher Konterrevolution unterscheidet, verschleiert er den absolut sozialreaktionären Charakter der Bourgeoisie und schafft die theoretische Grundlage für den marxistischen Mythos des „ursprünglich fortschrittlichen“ Kapitalismus. Der sozialreaktionäre Charakter des republikanischen Nationalstaates England als Machtinstrument der englischen Bourgeoisie wurde auch durch die imperialistischen Kriege gegen Irland, Schottland und den größten Handelskonkurrenten, die kapitalistische Republik Holland, deutlich.
Cromwell war also während der bürgerlichen Konterrevolution toleranzlos-repressiv gegen die Levellers und Diggers vorgegangen, um die kapitalistische Republik gegen die sozialen Ansprüche und Bedürfnisse der KleinbürgerInnen und ProletarierInnen zu verteidigen. Doch jede erfolgreiche größere bürgerliche Konterrevolution geht in eine länger andauernde innerbürgerliche Sozialreaktion über. So wurde die parlamentarische Republik schleichend in eine Militärdiktatur mit Cromwell als führenden Kopf und Säbel transformiert. Diese nur schlecht verhüllte Militärdiktatur fand 1653 in der Schaffung des Protektorats mit Cromwell als Lord-Protektor ihren regierungstechnokratischen Ausdruck. „Zum Königtum fehlte nur der Name, zur bürgerlichen Militärdespotie das offene Bekenntnis.“ (Otto Rühle, Die Revolutionen Europas, Erster Band, Focus Verlag, Wiesbaden 1973, S. 321.) Als Oliver Cromwells Sohn Richard ihn 1658 als Lord-Protektor ablöste, zerfiel der englische Nationalstaat in ein Chaos von Fraktionskämpfen zwischen Lord-Protektor, Parlament, Armee und zwischen den verschiedenen Armeeoffizieren. In diesen Fraktionskämpfen entstand im Jahre 1660 eine parlamentarische Mehrheit für die Presbyterianer, die ihr Heil in der Rückkehr zur Monarchie suchten.
An dieser Etappe der Entwicklung ging die innerbürgerliche Reaktion in die absolutistische Konterrevolution über. Diese Phase der Entwicklung dauerte bis 1688 und widerlegt alle marxistischen Mythen über eine angeblich „ursprünglich revolutionäre“ Bourgeoisie. Denn die Monarchen Karl II. und Jakob II. dachten nicht daran, sich vom bürgerlichen Parlamentarismus kontrollieren zu lassen. Sie gingen daran, die absolute Monarchie und den Katholizismus in England zu restaurieren und die englische Außenpolitik der französischen Monarchie unterzuordnen. Was für ein wahnwitziges Programm, das total der kapitalistischen Wirtschaftsbasis Englands widersprach! Doch die angeblich „revolutionäre“ Bourgeoisie ertrug fast 30 Jahre lang die absolutistische Konterrevolution – aus Angst vor der Revolution! Nein, sie brachte keinen radikalen antimonarchistischen Flügel wie die Independenten mehr hervor – aus Angst vor dem Proletariat. Doch wollte sie ihre ökonomische und politische Stellung bewahren, musste sie Jakob II. loswerden.
So organisierte die englische Bourgeoisie 1688 mit Hilfe des Niederländers Wilhelm von Oranien und den Papst in Rom eine Intrige gegen den katholischen König von England und dessen Verbündeten, das katholische Frankreich, das aber auch für den Vatikan zu mächtig wurde. Wilhelm von Oranien setzte mit einem Heer nach England rüber und setzte Jakob II. ab und wurde neuer König von England. Durch diese Intrige wurde die monarchistische Konterrevolution in England beendet. Wilhelm von Oranien erkannte wie alle KönigInnen nach ihm die bürgerlich-parlamentarische Kontrolle an. Die englische Bourgeoisie hatte Jahrzehnte gebraucht, um den politischen Überbau an die kapitalistische Basis anzupassen. „Bürgerliche Revolution“?! Lachhaft! Die antimonarchistische Revolution, bürgerliche Konterrevolution und die letztendliche Brechung der absolutistischen Konterrevolution schufen die politischen Voraussetzungen für die Entwicklung des modernen Industriekapitalismus in England ab dem Ende des 18. Jahrhunderts und des englischen Staates zur ersten und lange führenden Industrienation der Welt.
…..
Seit den 1770er Jahren befand sich die französische absolute Monarchie in einer permanenten Finanzkrise, an der sie sich mit Reformversuchen vergeblich abmühte. Die von der Monarchie unlösbaren Widersprüche der europäischen Übergangsperiode vom Feudalismus zum Industriekapitalismus in Frankreich verschärften sich und führten in den 1780er Jahren zur Herausbildung einer revolutionären Situation. Diese Widersprüche konnte das absolutistische Regime weder durch die Einschränkung der luxuriösen Hofhaltung noch durch die Reduzierung der Ausgaben für das Heer, einer Steuerreform mit Hilfe der Privilegierten, einer Liberalisierung des Handels, die durch Aufhebung der Zünfte erreichte Gewerbefreiheit, die Abschaffung der Käuflichkeit der Richterstellen, die Ersetzung der vielen indirekten Steuern auf die meisten Genuss- und Nahrungsmittel in Form einer einzigen und direkten Steuer und die Einberufung der Provinziallandtage beziehungsweise der Notabeln – durch den König ausgewählte, einflussreiche und angesehene Persönlichkeiten – auflösen. Alle oben genannten Maßnahmen waren mit dem Wirken des 1774 von Ludwig XVI. zum Kontrolleur der Finanzen berufene Anne-Robert-Jacques Turgot sowie mit dem aus der Schweiz stammenden Pariser Bankier Jacques Necker verbunden. Dessen Ernennung zum Minister stieß auf den erbitterten Widerstand der hohen Beamtenbürokratie. Der privilegierte Adel wehrte sich auch stark gegen die Versuche, eine Grundsteuer einzuführen. Auch gegen die Aufhebung noch bestehender feudaler Verhältnisse in der Landwirtschaft wandte er sich. Durch das weitere Anwachsen der Staatsschulden auf 5 Milliarden Livres, durch außenpolitische Misserfolge im Konkurrenzkampf der sich herausbildenden Nationalismen – vor allem die Niederlage im Siebenjährigen Krieg gegen England (1756-1763), die zum Verlust der französischen Kolonien in Nordamerika (Kanada und Louisiana) und Besitzungen in Indien und Afrika führte – und eine Reihe von Missernten mit der Folge des völligen Ruins der Landwirtschaft und des Gewerbes verschärfte sich die Todeskrise des französischen Absolutismus. Diese führte zur totalen Verelendung der bäuerlichen, kleinbürgerlichen und vorindustrieproletarischen Bevölkerung Frankreichs, die darauf mit sozialem Widerstand reagierte. Dessen Ausdrücke waren die Hungerrevolten in den Städten und auf dem flachen Lande. So entwickelte sich zum Beispiel zwischen 1783 und 1786 der Bauernaufstand in den Cevennen.
Die verarmten Handwerksmeister, nichtzunftgebundene Handwerker, die Gesellen sowie die TagelöhnerInnen in den Manufakturen bildeten in den französischen Städten – besonders in der Hauptstadt Paris – eine kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung, die sich zur Avantgarde der Französischen Revolution entwickelte. Im Hintergrund lauerte die Bourgeoisie, um auf dem Rücken dieser Bewegung die politische Macht zu erobern. Bourgeoisie und kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung forderten die Aufhebung der feudalen Privilegien und „Gleichheit“ – wobei unter dem verschwommenen bürgerlichen Ideal die Bourgeoisie vor allem rechtliche Gleichheit bei sozialer Ungleichheit verstand, während die KleinbürgerInnen und vorindustriellen ProletarierInnen damit noch unklare Vorstellungen von sozialer Emanzipation verbanden –, die Brechung der absoluten Macht der Monarchie, Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Einlieferung in das Staatsgefängnis, die Bastille.
Um die Finanzkrise zu beheben, berief die Monarchie die Generalstände – eine Art parlamentarische Vertretung der Klassen und Schichten, die seit 1614 nicht mehr zusammentraten – zum 5. Mai 1789 ein. Der erste Stand waren die Vertreter des weltlichen Feudaladels, der zweite die katholische Kirchenhierarchie und der dritte die Bourgeoisie, das KleinbürgerInnentum und das vorindustrielle Proletariat. Die Wahlen zu dieser Ständevertretung belebten die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung gegen die absolute Monarchie. Am 17. Juni 1789 erklärten sich die Vertreter des dritten Standes zur Nationalversammlung und verwarfen die alte Ständeordnung – das war ein Gründungsakt der nationalen Demokratie als kapitalistischer Emanzipation von der Monarchie. Sie gelobten am 20. Juni erst auseinanderzugehen, wenn sie dem Land eine Verfassung gegeben hätten. Auch lehnten sie es am 23. Juni unter der Führung von Honoré-Gabriel de Riqueti Graf von Mirabeau ab, getrennt nach Ständen zu beraten und erklärten sich am 9. Juli 1789 zur Verfassungsgebenden Versammlung. Die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung von Paris war über die geplanten Aktionen der Monarchie beunruhigt und stürmte am 14. Juli 1789 die Bastille als Staatsgefängnis – das Symbol des absolutistischen Regimes. Die antifeudale Revolution hatte begonnen.
Und sie ging sofort in die bürgerliche Konterrevolution über. Die Großbourgeoisie eroberte mit dem verbündeten Reformadel auf dem Rücken der kleinbürgerlich-vorindustrieproletarischen Sozialbewegung die politische Macht und verwandelte Frankreich in eine konstitutionelle Monarchie – eine politische Staatsform des Kapitalismus. Der Kapitalismus beruht auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und ist deshalb absolut sozialreaktionär. Die MarxistInnen unterscheiden nicht klar genug zwischen der antifeudalen Revolution der kleinbürgerlich-vorindustrieproletarischen Sozialbewegung, wie sie im Sturm auf die Bastille zum Ausdruck kam, und der bürgerlichen Konterrevolution, wie sie in der politischen Machteroberung der Bourgeoisie verkörpert wurde. Der Marxismus fasst die antifeudale Revolution der kleinbürgerlich-vorindustrieproletarischen Sozialbewegung und die bürgerliche Konterrevolution als politische Machteroberung der verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie zu dem falschen Begriff „bürgerliche Revolution“ zusammen. Falsch ist er in zweifacher Hinsicht. Erstens konnte sich die politische Macht der Bourgeoisie als einer Klasse, die das KleinbürgerInnentum niederkonkurriert und/oder in seine Abhängigkeit bringt und das lohnabhängige Proletariat ausbeutet, nur konterrevolutionär gegen die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung wenden. Zweitens suggeriert der Begriff „bürgerliche Revolution“, dass der aus der politischen Machteroberung der Bourgeoisie hervorgegangene bürgerliche Nationalstaat etwas „Fortschrittliches“ gewesen sei. In der Tat behauptet auch der Marxismus als halb verstoßenes und halb davon gelaufenes Kind des bürgerlichen Liberalismus, dass der Kapitalismus gegenüber dem Feudalismus etwas „Fortschrittliches“ darstellen würde. Doch aus konsequent revolutionärer Sicht war der bürgerliche Nationalstaat von Anfang an absolut sozialreaktionär.
Die antifeudale Revolution schlug in Frankreich deshalb notwendig in die bürgerliche Konterrevolution um, da die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung unmöglich eine Alternative zum Kapitalismus darstellen konnte. Das KleinbürgerInnentum (Handwerker, Kleinkrämer und Intellektuelle) war und ist selbst an die Warenproduktion und ihrer Politideologie (Demokratie, Menschenrechte und „Freiheit“) gebunden und als embryonale Ausbeuterin der Lohnarbeit des Proletariats schon in diesen Ansätzen zu kapitalistisch, um real antikapitalistisch sein zu können. Die Gesellen standen sozial zwischen KleinbürgerInnentum und Proletariat, wurden von den Handwerksmeistern zwar schon embryonal kapitalistisch ausgebeutet und führten in Form von Streiks auch ansatzweise einen Klassenkampf gegen diese, aber sie lebten bis zur Heirat im Haushalt ihrer Meister und strebten selbst an welche zu werden. Die ManufakturarbeiterInnen waren zwar sozial vom KleinbürgerInnentum schon vollständig gelöst und wurden ganz klar kapitalistisch von der Bourgeoisie ausgebeutet, aber sie waren zahlenmäßig noch zu schwach und ihr proletarisches Klassenbewusstsein war noch zu unreif, um der Revolution ihren Stempel aufzudrücken. Erst durch die Industrialisierung wird das lohnabhängige Proletariat zu einer Hauptklasse des Kapitalismus und vielleicht zu dessen möglichen revolutionären Totengräber. Ja, das zahlenmäßige Wachstum des lohnabhängigen Proletariats und dessen Reifung im Klassenkampf ist Folge der Entwicklung des Kapitalismus, aber dadurch wird die politische Machteroberung der Bourgeoisie nicht „fortschrittlich“, wie der Marxismus behauptet.
Die konstitutionelle Monarchie der Großbourgeoisie und des Reformadels in Frankreich stellte also ein Umschlagen der antifeudalen Revolution in die bürgerliche Konterrevolution dar. Doch die antifeudale Revolution hatte noch nicht ihren Höhepunkt erreicht, auch wenn die gemäßigte Fraktion der französischen Bourgeoisie sie bereits beenden wollte. Auf dem Lande entwickelten sich die Aktionen der BäuerInnen gegen Adelsschlösser. Urkunden über feudale Leistungen wurden von den aufständischen BäuerInnen vernichtet. Unter dem Druck der agrarischen antifeudalen Revolution beschloss die Konstituante als politisches Machtinstrument der Bourgeoisie in der Nacht vom 4. zum 5. August 1789 die Aufhebung einiger feudaler Vorrechte. Doch diese Maßnahmen verbesserten nicht wesentlich die Lage der BäuerInnen.
Am 26. August 1789 verabschiedete die bürgerliche Konterrevolution, in die die antifeudale Revolution in Frankreich umschlug, nach dem Vorbild der US-Sklavenhalter die Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte. Noch heute werden diese Menschenrechte besonders von linken KleinbürgerInnen extrem ideologisch erhöht. Der bürgerliche Staat, der politische Gewaltapparat der Kapitalvermehrung, erklärt den ihn unterworfenen Menschen ihre Rechte. Seit dieser Erklärung werden die ausgebeuteten und unterdrückten Menschen weiter unaufhörlich nicht nur schwer verletzt, sondern auch massenweise zum Wohle der Kapitalvermehrung ermordet. Das Verletzen von Menschen ist Alltag im Kapitalismus, aber eine Verletzung der Menschenrechte – das ist ein schlimmes Verbrechen. Besonders erbittert bekämpfen demokratische Staaten die Menschenrechtsverletzungen in Ländern, mit denen sie konkurrieren. Der Imperialismus erkämpft das Menschenrecht! Infolgedessen blieb auch Haiti nach der Erklärung der heiligen Menschenrechte weiterhin eine französische Kolonie, in der „schwarze“ Menschen SklavInnen waren. Denn das größte Menschenrecht ist das Recht auf Privateigentum an Produktionsmitteln – und das bedeutet nun mal Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Auch Frauen hatten lange Zeit nicht die gleichen Rechte wie Männer. Heute sind Männer und Frauen formal gleichberechtigt – und Proletarierinnen werden weiterhin einer sexistischen Extraausbeutung unterworfen. Die Erklärung der Menschenrechte war das Wort zum Sonntag inmitten der gerade erst richtig beginnenden kapitalistischen Zivilisationsbarbarei.
Nachdem der bürgerliche Staat die heiligen Menschenrechte proklamiert hatte, wurde König Ludwig XVI. am 6. Oktober 1789 von Versailles nach Paris gebracht, um ihn stärker unter der Kontrolle zu behalten. Die Konstituante der Bourgeoise räumte im sozialen Interesse dieser Klasse – die sich im totalen Gegensatz zu den von ihr ausgebeuteten afrikanischen SklavInnen in Haiti und den lohnabhängigen ManufakturarbeiterInnen in Frankreich befand – ab Ende 1789 den der Kapitalvermehrung hinderlichen feudalen Müll weg. So wurde das Kirchengut eingezogen, die Klöster und der Kirchenzehnt beseitigt, der Adel samt all seinen Privilegien abgeschafft, Geschworenengerichte eingeführt und der Klerus dem bürgerlichen Staat unterstellt. Im Interesse der Menschenrechte der KapitalistInnen wurde am 14. Juni 1791 per Gesetz den französischen LohnarbeiterInnen ihr klassenmäßiger Zusammenschluss und Kampf im Form des Streiks verboten. Das war eine wichtige historische Lektion: Die Menschenrechte der Bourgeoisie beruhen auf der kapitalistischen Ausbeutung des Proletariats. Will sich dieses von kapitalistischer Ausbeutung sozial befreien, muss es die Menschenrechte der Bourgeoisie aufheben. Die verdammte sozialdemokratische SpießerInnenseele kommt dagegen darin zum Ausdruck, dass sie bei der Bourgeoisie devot um Menschenrechte auch für LohnarbeiterInnen bettelt.
Doch nicht alle Fraktionen der französischen Bourgeoisie waren mit dem Erreichten schon zufrieden. Die radikal antimonarchistische Fraktion der Bourgeoisie und die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung strebten den Sturz der Monarchie an. Darunter auch die kleinbürgerlich-radikalen Jakobiner – sie wurden so nach ihrem Versammlungsort, dem ehemaligen Kloster des heiligen Jakob, genannt. Die Jakobiner und die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung stürzten am 10. August 1792 mit dem Sturm auf die Tuilerien – das Königsschloss in Paris – die konstitutionelle Monarchie. Dies war die Radikalisierung der antifeudalen Revolution zum Antimonarchismus. Doch die antimonarchistische Revolution schlug durch die politische Machteroberung der republikanischen Fraktion der französischen Bourgeoisie, den Girondisten, abermals in die bürgerliche Konterrevolution um. Zwischen den Girondisten einerseits und der kleinbürgerlich-vorindustrieproletarischen Sozialbewegung andererseits, bestand ein Klassengegensatz.
Doch dieser Klassengegensatz im Innern der französischen Nation wurde überdeckt durch außenpolitischen Krieg. Die feudalreaktionären Kräfte Europas machten mit ihren Truppen mobil gegen das bürgerlich-reaktionäre Frankreich. Die französischen Truppen stoppten am 20. September 1792 bei Valmy den Vormarsch der preußischen Streitkräfte. Am 21. Januar 1793 wurde auf Betreiben der kleinbürgerlich-radikalen Jakobiner der König hingerichtet. Gegen das republikanische Frankreich erhob sich auch die soziale Revolte der BäuerInnen und der ArbeiterInnen. Dieser soziale Protest gegen die republikanische Bourgeoisie wurde teilweise von der feudalen Konterrevolution ausgenutzt. Ihren Höhepunkt erreichten die sozialen Revolten in der Vendée zwischen März und Oktober 1793. Während der Hungerrevolten in Paris im Februar 1793 forderte die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung die Festlegung von Höchstpreisen für Nahrungsmittel (Maximum). Gegen den Widerstand des republikanischen Flügels der französischen Bourgeoisie, die Girondisten, konnte die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung am 4. Mai die Einführung eines Festpreises für Getreide und Mehl (Kleines Maximum) und am 29. September 1793 das Allgemeine Maximum durchsetzen.
Die Revolution radikalisierte sich abermals. Am 2. Juni 1793 wurden die Girondisten durch die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung gestürzt. Nun wurde die Staatsmacht von den kleinbürgerlich-radikalen Jakobinern erobert, die ihre politische Diktatur errichteten. Die Jakobinerdiktatur war der Höhepunkt der antifeudalen Revolution in Frankreich. Um sich noch weiter zu radikalisieren, hätte die Revolution einen offen antikapitalistischen Charakter annehmen müssen. Doch die Bedingungen für eine antikapitalistische Revolution – die den Staat zertrümmern und die Warenproduktion hätte aufheben müssen – waren wegen der zahlenmäßigen Schwäche und praktisch-geistigen Unreife des lohnabhängigen vorindustriellen Proletariats in Frankreich damals noch nicht gegeben. Deshalb war die politische Machteroberung durch die kleinbürgerlich-radikalen Jakobiner das Radikalste, was damals möglich war. Aber der Staat ist aus sozialrevolutionärer Sicht grundsätzlich ein reaktionärer politischer Gewaltapparat. An diesem grundsätzlich sozialreaktionären Charakter des Staates änderte sich auch nichts, als die Jakobiner ihn eroberten. Auch die Interessen der kleinbürgerlich-radikalen Jakobinerdiktatur als Staatsform waren nicht mit denen der kleinbürgerlich-vorindustrieproletarischen Sozialbewegung identisch. So war die Jakobinerdiktatur der Höhepunkt der antifeudalen Revolution und zugleich ein Moment der bürgerlichen Konterrevolution gegen die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung. Es entwickelte sich ein politischer Staatsterror, der sich sowohl gegen die feudal-girondistische Konterrevolution als auch gegen die radikalsten Elemente der kleinbürgerlich-vorindustrieproletarischen Sozialbewegung richtete.
Die Jakobinerdiktatur kämpfte gegen die Feudalreaktion und gegen die entmachteten Girondisten, die Truppen gegen Paris mobilisierten. Im Juni und Juli 1793 wurden durch die verabschiedeten Agrargesetze die Feudalverhältnisse vollständig aufgehoben und die Feudalrechte entschädigungslos beseitigt. Auch innerhalb der herrschenden Jakobiner nahmen die politischen Auseinandersetzungen zu. Während der gemäßigte Flügel der Jakobiner die Abschaffung des staatlichen Terrors und des Maximums forderte und damit objektiv die Interessen der Bourgeoisie zum Ausdruck brachte, vertraten die Sprecher der kleinbürgerlich-vorindustrieproletarischen Sozialbewegung die Notwendigkeit der Aufhebung jeglicher Ausbeutung. Eine besonders radikale Strömung waren die „Enragés“ (wörtlich: die Wütenden) um Jacques Roux, Jean Varlet und die Schauspielerin Claire Lacombe. Eine weitere kleinbürgerlich-radikale Strömung waren die Hébertisten um ihren Wortführer Hébert. Die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung forderte von den Jakobinern entschiedene Maßnahmen gegen Spekulanten und Wucherer. Die Jakobinerdiktatur ging im September 1793 konterrevolutionär gegen die Enragés in Form von Verhaftungen vor. Am 28. November 1793 wurden die Anhänger von Jacques Roux und im März 1794 Hébert und seine Unterstützer verhaftet. Das politische Machtorgan der Jakobinerdiktatur, der Wohlfahrsauschuss, richtete sich auch gegen die bürgerliche Frauenemanzipation, indem es am 30. Oktober 1793 die Frauenklubs verbot.
Doch indem die Jakobiner konterrevolutionär gegen die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung vorgingen, gruben sie ihr eigenes Grab. Denn damit befeuerten sie die bürgerliche Konterrevolution, für die die Jakobiner noch immer zu radikal waren. Diese bürgerliche Konterrevolution stürzte am 27. Juli 1794 im Interesse der Bourgeoisie die Jakobinerdiktatur. Gegen die bürgerliche Konterrevolution erhob sich die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung im April und Mai 1795, wurde jedoch niedergeworfen. Das bürgerlich-reaktionäre Frankreich schlug auch erfolgreich die innere und äußere Feudalreaktion. Zwischen 1795 und 1799 errichtete die Bourgeoisie ihre offene Diktatur. Die Französische Revolution war konterrevolutionär beendet.
Recent Comments