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6. Der bürgerliche Staat als politischer Gewaltapparat der Kapitalvermehrung

May 1st, 2023

Bürgerlich ist der Staat in den Ländern, in denen die kapitalistische Produktionsweise die sozialökonomisch herrschende ist (siehe Kapitel I.3). Dort ist er der politische Gewaltapparat der Kapitalvermehrung. Der bürgerliche Staat eignet sich auf politische Weise einen Teil des kapitalistisch produzierten Mehrwertes an. Dies geschieht zum einen durch Staatsfirmen. In diesen Fällen ist der Staat praktischer Kapitalist. Doch in Ländern des freien Privateigentums ist der Staatskapitalismus (siehe Kapitel I.9) nur eine Tendenz.

Im Privatkapitalismus eignet sich der Staat vorwiegend durch die Besteuerung seiner StaatsbürgerInnen einen Teil des Mehrwertes politisch an. Besteuert der politische Gewaltapparat den Geldlohn der abhängig Beschäftigten, dann lässt er direkt Mehrwert für sich produzieren. Die staatliche Besteuerung des Profites der Einzelkapitale stellt eine Umverteilung des Mehrwertes an ihn selbst dar. Ähnlich ist es bei der Besteuerung des Konsums der KapitalistInnen und WirtschaftsmanagerInnen. Der sozialökonomische Kern der Bourgeoisie lebt ja vom Mehrwert, sein Konsumtionsfonds wurde von den Lohnabhängigen erarbeitet. Besteuert jedoch der Staat den Konsum der Lohnabhängigen, verwandelt er einen Teil ihres Geldlohnes in politisch angeeigneten Mehrwert. Die Steuern, die das noch selbst unmittelbar praktisch arbeitende, aber produktions- und handelsmittelbesitzende sowie embryonal die Lohnarbeit ausbeutende KleinbürgerInnentum auf seinen Gewinn und seinen Konsum zahlen muss, hat es teilweise selbst erarbeitet, ein anderer Teil stammt aus fremder Arbeit. Dagegen sind die Steuern, die die Bourgeoisie zahlt, alle vom Proletariat erarbeitet. Die kleinbürgerliche Protestpolitik stellt die staatliche Ausbeutung der Lohnabhängigen vorwiegend nur in ihrer Rolle als Steuerzahlende dar und ignoriert weitgehend die als SteuerproduzentInnen.

Der Staat lebt als politischer Gewaltapparat vom Mehrwert und damit von der Ausbeutung des Proletariats. Er ist sowohl Ausdruck der Klassenspaltung der kapitalistischen Gesellschaft als auch selbst klassengespalten. Die den Staat regierenden BerufspolitikerInnen gehören in dieser Funktion selbst zur Bourgeoisie – und zwar unabhängig davon, welcher sozialen Klasse sie angehört haben, bevor sie in die Politik gingen und dort Kariere machten. Sie bilden als ManagerInnen des politischen Gewaltapparates der Kapitalvermehrung den politischen Ausläufer der Bourgeoisie. Regierende BerufspolitikerInnen sind politische Charaktermasken des Kapitals. Als solche leben sie in Form von Gehältern vom Mehrwert, von der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit. Sie managen diese gesamtgesellschaftlich. Da regierende BerufspolitikerInnen grundsätzlich von der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit leben und diese gesamtgesellschaftlich organisieren, sind sie strukturelle KlassenfeindInnen des Proletariats.

Regierende BerufspolitikerInnen sind ManagerInnen des politischen Gewaltapparates der Kapitalvermehrung. Ihre konkrete Tätigkeit ist durch diese allgemeine Funktion maßgeblich bestimmt. Außerdem noch durch die allgemeinen Entwicklungstendenzen der Kapitalvermehrung. Der bürgerliche Staat steht als gesamtgesellschaftlich-politischer Organisator der Kapitalvermehrung über den Einzelkapitalen auf seinem Territorium. Er ist ideeller Gesamtkapitalist. Das ist er objektiv-strukturell. Natürlich versuchen auch mächtige Einzelkapitale durch Lobbyismus und Bestechung Einfluss auf die regierenden BerufspolitikerInnen zu nehmen. Doch das schadet eher der Funktion der letztgenannten als Personifikation des Staates als ideellen Gesamtkapitalisten. Deshalb geht die Strafjustiz – wie konsequent oder inkonsequent auch immer – gegen allzu dreiste Formen einzelkapitalistischer Einflussnahme auf regierende BerufspolitikerInnen vor. Indem die kleinbürgerliche Protestpolitik die einzelkapitalistische Einflussnahme auf den Staat skandalisiert und über dessen generelle Rolle als ideeller Gesamtkapitalist und politischer Gewaltapparat der Kapitalvermehrung schweigt, trägt sie dazu bei, dessen Klassencharakter zu verschleiern.

Der bürgerliche Staat ist der politische Ausdruck der sozialen Diktatur des Kapitals. Und diese politische Diktatur des Kapitals übt er in Form des Rechtsstaates aus. Indem er allen seinen StaatsbürgerInnen das gleiche juristische Recht gibt, verteidigt und reproduziert er ihre soziale Ungleichheit. In einem bürgerlichen Rechtsstaat haben sowohl Menschen mit viel als auch solche mit wenig Geld das gleiche juristische Recht eine Firma zu gründen, also sich Produktions- beziehungsweise Handelsmittel zu kaufen und Lohnabhängige anzumieten. Die Menschen mit wenig Geld haben dazu natürlich nicht die materielle Möglichkeit – aber das juristische Recht dazu haben sie. Der bürgerliche Rechtsstaat ist eine politische Diktatur des Kapitals über die Lohnarbeit. Im frühen Industriekapitalismus war den Lohnabhängigen die Arbeitsniederlegung absolut verboten, Gewerkschaften waren illegalisiert. In heutigen Demokratien gibt es ein demokratisches Streikrecht, welches dem klassenkämpferischen Proletariat mehr verbietet als erlaubt und es bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparaten unterwirft, die wiederum mehr oder weniger in den Staat integriert sind. Das absolute Verbot von Arbeitsniederlegungen und Gewerkschaften stellt eine ziemlich grobschlächtige Form der politischen Diktatur des Kapitals über die Lohnarbeit dar, während ein demokratisches Streikrecht dessen Verfeinerung und Modernisierung ist. So oder so, im Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat ist der bürgerliche Staat niemals neutral, sondern der politische Machtapparat des Kapitals.

Auch in seiner Funktion als Sozialstaat, in der er den politisch angeeigneten Mehrwert umverteilt, ist er die politische Diktatur des Kapitals. In Form des politischen Soziallohnes fließt ein Teil des vom Staat angeeigneten Mehrwertes – der von den ProletarierInnen und den produktionsmittel- und handelsmittelbesitzenden KleinbürgerInnen erarbeitet wurde – an das Proletariat zurück. Formen des politischen Soziallohns sind zum einen scheinbar kostenlose staatliche Dienstleistungen – zum Beispiel allgemeiner Schulunterricht auch für ArbeiterInnenkinder – und zum anderen die Leistungen der gesetzlichen Zwangsversicherungen. Scheinbar kostenlos ist die allgemeine Schulbildung auch für ArbeiterInnenkinder deshalb, weil diese das Proletariat in seiner Funktion als Steuerproduzent mehr als bezahlt hat. Die gesetzliche Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung wird zum Beispiel in der BRD aus dem Lohn finanziert. Nach der Sozialstaatsideologie teilen sich Kapital und Lohnarbeit fair die Beiträge der genannten gesetzlichen Sozialversicherungen, während die Unfallversicherung ausschließlich von der Bourgeoisie finanziert wird. Die Beiträge der Lohnabhängigen zu den gesetzlichen Sozialversicherungen werden vom Bruttolohn abgezogen, während die „Arbeitgeber“ in die Sozialversicherungen ihres Ausbeutungsmaterials einzahlen. Dass die Lohnabhängigen sowohl ihre eigenen Beiträge als auch die ihrer AusbeuterInnen zu ihren Sozialversicherungen erarbeitet haben, fällt bei dem Abfeiern der gesetzlichen Sozialversicherungen meistens unter den Tisch. Die gesetzlichen Sozialversicherungen sind Ausdruck der Tatsache, dass der den Lohnabhängigen ausgezahlte Geldlohn viel zu niedrig ist, um sie im Falle des altersmäßigen Ausscheidens aus der Arbeit oder deren krankheitsbedingte Unterbrechung beziehungsweise bei Verlust des Jobs sozial abzusichern. Langzeitarbeitslose werden übrigens in Deutschland nicht durch die Arbeitslosenversicherung am Leben gehalten, sondern durch das steuerfinanzierte Bürgergeld. Der Sozialstaat verkörpert nichts anderes als die bürokratische Verwaltung des produktiven (Lohnarbeit) und „unproduktiven“ proletarischen Elends (RentnerInnen, Erwerbs- und Obdachlose).

Ein Teil des staatlich angeeigneten Mehrwerts fließt in Form von Subventionen an das Privatkapital. Demgegenüber stellen Staatsaufträge an die Privatwirtschaft keine Umverteilung des Mehrwertes, sondern nur dessen Formveränderung dar. Lässt sich der Staat vom Privatkapital Schulgebäude und Kampflugzeuge bauen, dann besaß der politische Gewaltapparat vor diesen Aufträgen Mehrwert in Geldform, danach Mehrprodukt in Form von Schulen und Zerstörungsmitteln.

Der Staat formt die Einzelkapitale auf seinem Territorium zum gesellschaftlichen Gesamtkapital, zum Nationalkapital. Er überführt das Geld auf seinem Gebiet in seine Nationaluniform, die Währung. Die grenzenlose Vermehrung des nationalen Geldes ist das oberste Staatsprogramm. In Europa haben sich mehrere Staaten auf eine gemeinsame Währung, den Euro, geeinigt. Der bürgerliche Staat ist auch so eine Art gesamtgesellschaftliche Marktpolizei. Er bestimmt durch sein Gesetz, was die einzelnen Marktsubjekte und StaatsbürgerInnen auf den verschiedenen Märkten – einschließlich des Arbeitsmarktes – in ihrer permanenten Konkurrenz tun dürfen und was nicht. Er verteidigt mit seinem Gewaltmonopol alle Eigentumsformen der Warenproduktion sowohl gegen kriminelle Anschläge als auch gegen Revolutionsversuche des produktionsmittellosen Proletariats.

Übrigens überlassen die regierenden BerufspolitikerInnen sowohl die monotone Verwaltungs- als auch die repressive Drecksarbeit und die öffentlichen Dienstleistungen den staatlich dienenden Lohnabhängigen. Während die regierenden Politbonzen mehr Geld als die staatlich dienenden Lohnabhängigen bekommen und die großen Reden halten, wird von den letzteren die wirkliche Arbeit des Staates verrichtet. RegierungspolitikerInnen reden von Ruhe und Ordnung, während die Bullen im Kampf gegen die Kriminalität, den kleinbürgerlichen Radikalismus und das klassenkämpferische Proletariat ihre Köpfe hinhalten müssen. Politbonzen in Regierungsfunktionen führen den internationalen Konkurrenzkampf gegen andere Staaten, während sie in deren militärischen Form SoldatInnen sterben und töten lassen. Auf diese Weise werden staatlich dienende Lohnabhängige vom politischen Gewaltapparat ausgebeutet, obwohl sie in der Regel keinen Mehrwert produzieren, sondern aus diesem bezahlt werden. Staatlich dienende Lohnabhängige, die verbeamtet, akademisch spezialisiert sind (zum Beispiel LehrerInnen) und repressive Funktionen ausüben (SoldatInnen, PolizistInnen und GeheimdienstlerInnen) zählen wir zum KleinbürgerInnentum, während zum Beispiel Pflege- und Reinigungskräfte des öffentlichen Dienstes zum Proletariat gehören. Lohnabhängige in staatlichen Verkehrs- oder Rohstofffirmen, die Mehrwert produzieren, gehören nicht zu den staatlich Dienenden. Letztere werden von dem Widerspruch bestimmt, dass sie einerseits in ihrer Funktion auch repressiv gegen das klassenkämpferische Proletariat vorgehen, andererseits aber auch selbst einen Klassenkampf gegen die regierenden BerufspolitikerInnen für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten führen.

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