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5. Biosoziale Reproduktionsverhältnisse, Familie und Prostitution

April 15th, 2023

Die biologischen Geschlechter männlich und weiblich sorgen durch das Zeugen und Gebären vom neuen Leben für die biosoziale Reproduktion der Menschheit. Soziale Geschlechterrollen, also was in einer bestimmten Gesellschaft als „männlich“ und „weiblich“ gilt, hat aber nicht viel mit den biologischen Geschlechtern zu tun. Zum Beispiel hat die Norm, dass es in der Regel fast überall als „unmännlich“ gilt, Röcke zu tragen, nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun. Das Überkreuzliegen von biologischem Geschlecht, sozialer Geschlechterrolle und individueller Geschlechtsidentität führte auch zur Entwicklung von Transgender und nichtbinärer Geschlechtsidentität. Transgender sind Personen, deren individuelle Geschlechtsidentität nicht ihrem eingetragenen Geschlecht entspricht. Nichtbinäre Geschlechtsidentitäten sind dadurch geprägt, dass sie außerhalb der Zweigeschlechtlichkeit liegen. Sie ordnen sich nicht eindeutig und immer den Kategorien „männlich“ und „weiblich“ unter. Auch die Homo- und Bisexualität weichen von dieser heterosexuellen Norm ab. Bürgerliche Staaten unterdrückten allgemein alle Abweichungen von der heterosexuellen Normierung. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es auch aufgrund der sozialen und politischen Bewegung all jener Menschen, die von der heterosexuellen und/oder binärgeschlechtlichen Normierung abweichen in einigen Staaten zu einer gewissen Liberalisierung der Familienpolitik und Legalisierung von Transgender, Homo- und Bisexualität sowie nichtbinären Geschlechtsidentitäten. Sozialrevolutionäre Antipolitik kämpft entschieden gegen die staatliche Repression gegen nichtheterosexuelle Menschen, Transgender und Personen mit einer nichtbinären Geschlechtsidentität. Außerdem strebt sie eine totale Aufhebung sozialer Geschlechterrollen und der heterosexuellen Normierung in einer nachkapitalistisch-nachpolitischen, klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft an.

Aber noch immer ist die monogam-heterosexuelle Kleinfamilie aus Mann, Frau und Kindern das vorherrschende biosoziale Reproduktionsverhältnis im Kapitalismus. Die rechtsstaatliche Institutionalisierung der bürgerlichen Kleinfamilie stellt die Ehe dar. Diese hat sich in einigen Ländern liberalisiert und auch gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren geöffnet. Aber die Ehe ist im Prinzip in der Regel unvereinbar mit allen nichtmonogamen Liebes- und Sexualbeziehungen. Der bürgerliche Staat begünstigt in der Regel noch immer Familien und Ehen als vorherrschende biosoziale Reproduktionsverhältnisse. Seine konkrete Familienpolitik ist auch abhängig von den allgemeinen Entwicklungstendenzen der Kapitalvermehrung. In westlichen Gesellschaften leben immer mehr Menschen in Singlehaushalten.

In diesen Privathaushalten – egal ob die von Singles, monogamen Paaren/Familien/Ehen oder Kommunen der Polyamorie – reproduzieren sich die Menschen biosozial. Bourgeoisie sowie produktions- und handelsmittelbesitzende KleinbürgerInnen reproduzieren sich als PrivateigentümerInnen. Hier ist auch die Vererbung von Privateigentum an Produktionsmitteln/Firmenanteilen an den Nachwuchs sehr wichtig. Dagegen reproduzieren kleinbürgerliche und proletarische Lohnabhängige in diesen Privathaushalten ihre Arbeitskraft biosozial. Dazu sind auch biosoziale Reproduktionstätigkeiten nötig (Einkaufen, Saubermachen, Kochen, das Behüten und die Erziehung von Kindern sowie die Pflege von kranken und/oder älteren Familienmitgliedern). Bourgeoisie und das obere KleinbürgerInnentum können die biosozialen Reproduktionstätigkeiten weitgehend auf privat dienende Lohnabhängige beziehungsweise auf die privatkapitalistisch organisierte Dienstleistungsbranche abwälzen. Das ist in den Single- und Paarhaushalten des unteren KleinbürgerInnentums und des Proletariats nicht möglich.

Hier sind die biosozialen Reproduktionstätigkeiten auch im westlichen Kapitalismus noch immer vorwiegend Frauensache. In der lohnabhängigen Familie hat sich dort folgendes Rollenmodell durchgesetzt: Der Mann ist meistens der Hauptverdiener in einem Vollzeitjob, während die Frau meistens weniger verdient – oft auch in Teilzeit- und/oder nichtsozialversicherungspflichtigen Minijobs. Gleichzeitig verrichtet sie den größten Teil der biosozialen Reproduktionstätigkeiten. Selbstverständlich gibt es auch heterosexuelle Paare/Familien/Ehen, in der die Frauen die Haupt- oder Alleinverdienerinnen sind und die Männer den größten Teil der innerfamiliär-biosozialen Reproduktionstätigkeiten verrichten. Doch das ist eine Minderheitentendenz. Und es gibt auch Paar- und Familienhaushalte, in denen die biosozialen Reproduktionstätigkeiten fair auf Mann und Frau verteilt werden.

Aber egal ob in Single- oder Paarhaushalten, ob vorwiegend von den Frauen, den Männern oder gleichberechtigt ausgeübt: Innerfamiliär-biosoziale Reproduktionstätigkeiten dienen bei Lohnabhängigen dazu, eine vermietbare Arbeitskraft zu reproduzieren. Ein ungepflegter und/oder durch Drogen geschädigter Körper lässt sich wesentlich schwerer an dessen potenzielle AusbeuterInnen vermieten. Biosoziale Reproduktionstätigkeit erhält also den Tauschwert der Arbeitskraft, fügt dieser aber keinen neuen hinzu. Sie ist tendenziell lohnsparend. So ist zum Beispiel selbst kochen kostengünstiger als in das Restaurant gehen.

Dort wo die biosoziale Reproduktionstätigkeit noch vorwiegend patriarchal-sexistisch durch die Frauen erfolgt, wird sie praktisch durch „ihren“ Mann ausgebeutet. Sie produziert Gebrauchswert für die ganze Familie, für sich, den Mann und die Kinder, während er sich in der Freizeit weitgehend ausruhen kann und muss, damit er wieder fit ist für den Job. Sind die Frauen auch noch lohnabhängig, dann leiden sie unter einer starken Doppelbelastung aus Job und innerfamiliär-biosozialen Reproduktionstätigkeiten. Die bürgerliche Kleinfamilie ist noch immer stark patriarchal-sexistisch geprägt.

Der Staat greift durch seine Politik in die biosoziale Reproduktion der Menschen ein. Besonders überwacht er die Gebärfunktion der Frauen. In den meisten Ländern ist er weit davon entfernt diese Funktion den Frauen als freie Kontrolle über ihren eigenen Körper zu überlassen, sondern er schuf und schafft ein mehr oder weniger repressives Abtreibungsverbot. Dieses wiederum wird von der klassenübergreifenden Frauenbewegung bekämpft, durch ihren Druck kam es in einigen Ländern zu mehr oder weniger konsequenten Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches. Auch stellte der politische Gewaltapparat bis in das 20. Jahrhundert hinein Mann und Frau in der Familie nicht rechtlich gleich. Lange Zeit war die Frau in der bürgerlichen Kleinfamilie weitgehend entmündigt und ihrem Mann auch juristisch unterworfen. Der antipolitische Kommunismus strebt die Zerschlagung der Ehe als staatlich sanktionierte Form der bürgerlichen Kleinfamilie und die Gleichberechtigung aller Formen von Liebes- und Sexualbeziehungen in einer klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft an.

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Der Mensch ist ein soziales Wesen, aber im Kapitalismus auch ein asoziales Marktsubjekt und Konkurrenzindividuum. Die meisten Menschen – besonders die lohnabhängigen – werden in der verdinglichten, geldproduzierenden Arbeit nicht glücklich. Ganz im Gegenteil. Sie erwarten deshalb von ihren Partnerschaftsbeziehungen beziehungsweise Familien und Ehen, dass sie glücklich machen. Sozusagen das biosoziale Reproduktionsverhältnis als Oase des Glücks im kapitalistischen Meer der Konkurrenz-Asozialität, stumpfsinnig machender Lohnarbeit und Ware-Geld-Verdinglichung menschlicher Beziehungen. Dadurch werden allerdings viele Paarbeziehungen, Familien und Ehen emotional überfrachtet. Die Menschen machen sich gegenseitig zum Objekt eines totalitären Glücksanspruchs. Aus der tiefen Erfüllung aus gegenseitiger Zuneigung am Beginn einer Beziehung, die in dem schönen Kompliment zum Ausdruck kommt „Du machst mich glücklich“ wird schnell der absolute Anspruch: „Mache mich glücklich!“ Dieses Besitzdenken kann Liebe und Zärtlichkeit nur töten und Quelle von körperlicher, psychischer und emotionaler Gewalt sein – bis hin zum Mord. Bei der Ausübung von körperlicher Gewalt in Paarbeziehungen, Familien und Ehen sind die Männer oft die Täter und die Frauen die Opfer. Aber es gibt auch Frauen, die „ihren“ Männern durch psychisch-emotionale oder gar körperliche Gewalt das Privatleben zur Hölle machen. Sehr oft werden also im Kapitalismus aus biosozialen Reproduktionsverhältnissen asoziale Gewaltverhältnisse.

Das bürgerliche Alltagsbewusstsein produziert Sprüche über das Verhältnis von menschlichen Solidarbeziehungen und dem Ware-Geld-Verhältnis, die erstmal banal klingen, aber eine tiefe Wahrheit über die Warengesellschaft offenbaren. „Bei Geld hört die Freundschaft auf“ sagt zum Beispiel sehr viel darüber aus, wie die konkurrenzförmige Jagd nach dem verselbständigten Ausdruck des Tauschwertes auch zwischenmenschliche Solidarbeziehungen zerstören. „Liebe kann man nicht kaufen“ bedeutet aber auch, dass diese zwischenmenschliche Zärtlichkeit für kein Geld der Welt zu haben ist. Ficken kann mensch dagegen für Geld. Prostitution heißt aber auch im Gegenzug von der Ware-Geld-Beziehung gefickt zu werden. Die Prostitution ist eine Ware-Geld-Perversion der Sexualität. Sie beruht auf dem sozialen Elend der Prostituierten, irgendwie Geld verdienen zu müssen, und dem sexuellen Elend der FreierInnen. Die Prostitution ist noch stark patriarchal-sexistisch geprägt. Das heißt, dass die meisten Prostituierten weiblich und die meisten FreierInnen männlich sind. Aber auch Frauen können sich Callboys mieten. Dies ist eine Minderheitenströmung innerhalb der Prostitution. Der bürgerliche Staat kann die Prostitution legalisieren oder verbieten – aber aufheben kann er sie nicht, da es die herrschende Warengesellschaft selbst ist, die sie hervorbringt. Ein Teil des kleinbürgerlichen Mittelstandsfeminismus tritt für das Verbot der Prostitution bei der Kriminalisierung der Freier ein. Der antipolitische Kommunismus kämpft für eine sozialrevolutionäre Überwindung der Prostitution durch die Aufhebung der Ware-Geld-Beziehungen sowie des sozialen und sexuellen Elends.

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