3. Die industriekapitalistische Warenproduktion als herrschende Produktionsweise
Eine kapitalistische Warenproduktion ist dadurch gekennzeichnet, dass fast alle Güter und Dienstleistungen für den Umtausch mit Geld produziert werden. Ziel und Zweck der kapitalistischen Produktionsweise ist die unaufhörliche und grenzenlose Vermehrung des Geldes. Nützliche Dinge werden vorwiegend nur produziert, wenn sie das Geld, diesen verselbständigten Ausdruck des Tauschwertes, vermehren. In der herrschenden kapitalistischen Produktionsweise besteht die totalitäre Diktatur des Tauschwertes über den Gebrauchswert. Diese beinhaltet, dass nicht die Bedürfnisse nach bestimmten Waren und warenförmigen Dienstleistungen zählen, sondern nur die zahlungsfähige Nachfrage nach ihnen. Hat der Bedürftige nicht genug oder gar kein Geld, so bleiben in der Warenproduktion seine Bedürfnisse unbefriedigt, während gleichzeitig Waren unverkäuflich bleiben. Das passiert auch im schönsten kapitalistischen Wirtschaftsaufschwung. Die kapitalistische Warenproduktion abstrahiert also real, in der Wirklichkeit, weitgehend von den wirklichen Bedürfnissen.
Außerdem abstrahiert sie die verschiedenen produktiven Tätigkeiten zur geldproduzierenden Arbeit. Zeitungen einer Druckerei und Gießkannen sind qualitativ verschiedene Produkte mit unterschiedlichen Gebrauchswerten. Zu ihrer Herstellung sind auch unterschiedliche produktive Tätigkeiten notwendig. In ihren Naturalformen sind Gießkannen und Zeitungen klar voneinander zu unterscheiden. Doch das Ziel der kapitalistischen Produktion von Zeitungen und Gießkannen ist ihr Verkauf, ihr Umtausch in Geld. Geld ist das Endprodukt der Zeitungs- und Gießkannenherstellung. Häufen wir diese Endprodukte in zwei Geldsummen nebeneinander auf, so lässt sich mit bloßem Auge nicht mehr feststellen, welche von beiden das Endprodukt der Gießkannen- oder der Zeitungsherstellung ist. In den beiden Geldsummen sind alle qualitativen Unterschiede ausgelöscht. Sowohl die unmittelbaren ProduzentInnen der Gießkannenherstellung als auch die DruckerInnen haben am Ende Geld produziert. Das ist die Realabstraktion der verschiedenen produktiven Tätigkeiten zur geldproduzierenden Arbeit.
Kapitalistische Warenproduktion ist die Herauspressung von Mehrwert aus den unmittelbaren ProduzentInnen, den Lohnabhängigen, durch die EigentümerInnen (KapitalistInnen) und den obersten VerwalterInnen (ManagerInnen) der Produktionsmittel. Das kapitalistische Eigentum an Produktionsmitteln – Privateigentum, Aktiengesellschaften und Staatseigentum – ist zwangsläufig mit der Existenz eines produktionsmittellosen Proletariats verbunden. Zum letzteren gehören sowohl nichtlohnarbeitende Unterschichten – noch nicht arbeitende Kinder und Jugendliche in proletarischen Familien beziehungsweise nicht mehr malochende RentnerInnen, innerfamiliär-innerproletarische HausarbeiterInnen (vorwiegend Frauen) und erwerbs- sowie obdachlose Menschen – als auch die ArbeiterInnenklasse als dessen Kern. Alle LohnarbeiterInnen sind negativ frei von Produktions- und Handelsmitteln. Sie können also weder Lebensmittel für sich selbst noch Waren herstellen, von dessen Verkauf sie leben könnten. Die Menschen, die ihre Arbeitskraft in hochqualifizierte (ÄrztInnen, IngenieurInnen, WissenschaftlerInnen, JournalistInnen, SchauspielerInnen…), leitende bis zur mittleren Ebene (VorarbeiterInnen, AbteilungsleiterInnen, ChefInnen…) oder repressive Funktionen innerhalb der Privatwirtschaft (Werkschutz) beziehungsweise des Staatsapparates (Polizei, Armee und Geheimdienste) vermieten können, gehören zum lohnabhängigen KleinbürgerInnentum. Alle anderen Lohnabhängigen sind Teil der ArbeiterInnenklasse, dem Kern des modernen Proletariats.
Viele LohnarbeiterInnen sind im Kapitalismus doppelt frei. Sie sind negativ frei von Produktionsmitteln, aber auch positiv freie Marktsubjekte – völlig der Ware-Geld-Beziehung unterworfene Geschöpfe, doch die bürgerliche Ideologie formuliert diese Unterwerfung als Freiheit. Positive und negative Freiheit ist hier nicht ethisch-moralisch gemeint, sondern im Sinne von Freiheit zu etwas (positiv) beziehungsweise die Freiheit von etwas (negativ). Die negative Freiheit von den Produktionsmitteln führt dazu, dass die Lohnabhängigen ihre positive Marktfreiheit dazu nutzen müssen, ihre eigene Arbeitskraft an die kleinbürgerlichen, kapitalistischen oder institutionellen EigentümerInnen von Produktions- und Handelsmitteln zu vermieten. Durch die Vermietung ihrer Arbeitskraft bekommen sie einen Geldlohn, von dem die ProletarierInnen sich die zum Leben notwendigen Waren und warenförmigen Dienstleistungen kaufen können.
Neben den doppelt freien LohnarbeiterInnen gab und gibt es im modernen Kapitalismus auch lediglich negativ freie Arbeitskräfte. Diese hatten und haben keine freie Marktsubjektivität und waren beziehungsweise sind mehr oder weniger deutlich staatlicher Zwangsarbeit unterworfen. Zum Beispiel in den faschistischen Konzentrationslagern, im Gulag des sowjetischen Staatskapitalismus, aber auch in demokratischen Knästen und die von Sozialstaaten mehr oder weniger erzwungene Arbeit von Erwerbslosen in Form von verschiedenen Maßnahmen.
Obwohl die Marktsubjektivität von Lohnabhängigen nur deren Ausbeutungsobjektivität einleitet (Arbeitsmarkt) beziehungsweise die Arbeitskräfte biosozial reproduziert (Konsumgütermärkte), ist sie doch mit der geistigen Reproduktion bürgerlicher Freiheitsvorstellungen, des Konkurrenzchauvinismus und des Geldfetischismus verbunden. Die totalitäre Unterwerfung unter die Ware-Geld-Beziehung wird auch von vielen Lohnabhängigen völlig verinnerlicht und nicht mehr als sozialökonomischer Zwang wahrgenommen, die eigene Arbeitskraft an die EigentümerInnen der Produktionsmittel vermieten zu müssen, sondern als eine Reihe von Chancen, die es zu ergreifen gilt. Nicht nur bei den KapitalistInnen und produktionsmittel- sowie handelsmittelbesitzenden KleinbürgerInnen, sondern auch bei den ProletarierInnen ist die Marktsubjektivität notwendig mit einem Konkurrenzindividualismus verbunden. ProletarierInnen konkurrieren auf den verschiedenen Arbeitsmärkten und den von seltenen Konsumgütern (preiswerte Mietwohnungen) auch untereinander. Als Marktsubjekte und Konkurrenzindividuen sind ProletarierInnen absolut kleinbürgerlich. Die Konkurrenz zwischen den KapitalistInnen, KleinbürgerInnen und ProletarierInnen entwickelt sich auf den verschiedenen Märkten – und hebt sich von dieser Basis ab und durchdringt alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Ständig vergleichen sich die Menschen im Kapitalismus untereinander, werten sich gegenseitig ab, während sie sich selbst erhöhen. Wer ist erfolgreicher, schneller, schöner, intelligenter, witziger… – und wer ist der/die verdammte Loser/in, auf der alle anderen rumtrampeln können? Der Konkurrenzchauvinismus macht das biologische Geschlecht und die soziale Geschlechterrolle, die Hautfarbe, die Nationalität, die Religion und vieles andere Mehr zur Berufungsinstanz der eigenen Identität beziehungsweise zum Feindbild des zu bekämpfenden „Wettbewerbers“. Der ständige Konkurrenzkampf ist die Quelle von Rassismus, Sexismus, Nationalismus und religiöser Chauvinismen auch unter ProletarierInnen – aber auch von linker Identitätspolitik.
Auch ProletarierInnen reproduzieren praktisch-geistig den im Kapitalismus herrschenden Geldfetischismus. Dieser ist die herrschende Ideologie, falsches Bewusstsein, wie es aber notwendig von den gesellschaftlichen Beziehungen produziert wird. Dem Fetisch Geld wird als leblosen Ding Eigenschaften lebendiger Menschen angedichtet. So lautet zum Beispiel so ein geldfetischistischer Spruch: „Geld regiert die Welt!“ Doch Geld kann nicht regieren, das können nur Menschen. Die KapitalistInnen und WirtschaftsmanagerInnen regieren die Warenproduktion, deren oberstes Ziel und totalitäre Bestimmung die unaufhörliche und grenzenlose Geldvermehrung ist. Doch als KapitalistInnen und ManagerInnen müssen sie PraktikerInnen des realen Geldfetischismus sein. Sie müssen das Geld vermehren! Die Regierenden der Warenproduktion müssen dem kategorischen Imperativ des Kapitals „Vermehre mich!“ gehorchen Aber sie regieren auch über andere Menschen, die Lohnabhängigen, weil sie das Geld haben, um sie anmieten zu können. Regierende PolitikerInnen machen diesen realen Geldfetischismus der kapitalistischen Produktionsweise notwendig zum Staatsprogramm. Die Menschen gehen in einer kapitalistischen Warenproduktion notwendig Ware-Geld-Beziehungen ein, die nicht sie, sondern die sie beherrschen. Das sind verdinglichte menschliche Beziehungen, in denen dem leblosen Ding Geld Eigenschaften lebendiger Menschen angedichtet werden. Dem Geld kommt aber nur diese große Bedeutung zu durch gesellschaftliche Produktionsverhältnisse, die deren permanente Vermehrung zum obersten Ziel der ganzen Veranstaltung machen. In einer möglichen zukünftigen nachkapitalistisch-nachpolitischen, klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft, in der die Warenproduktion aufgehoben ist und direkt für die individuellen sowie gesellschaftlichen Bedürfnisse produziert wird, wird das alte Geld nichts anderes sein als Papier mit Zahlen darauf.
Der reale Geldfetischismus der kapitalistischen Produktionsweise beherrscht die ganze Ethik der bürgerlichen Gesellschaft. Auch das Alltagsbewusstsein der Marktsubjekte ist notwendig geldfetischistisch. Es gibt positiven Geldfetischismus, der den verselbständigten Ausdruck des Tauschwertes geradezu anbetet, und einen negativen, der diesen verdammt. Bei vielen ProletarierInnen weltweit bleibt am Ende des Geldes noch verdammt viel Monat übrig. Dies lässt sie fluchen: „Scheiß Geld!“ Doch ihre Lage liegt nicht an diesem allgemeinen Tauschmittel, sondern an den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen, die fast alle Güter zu Waren machen, die wiederum Geld erfordern, um sie einzutauschen. Und es liegt auch nicht am Geld, dass sie so wenig davon haben. Im Gegensatz zu vielen ProletarierInnen pflegen die Angehörigen der herrschenden kapitalistischen Klasse, der Bourgeoisie – KapitalistInnen, WirtschaftsmanagerInnen, hohe BerufspolitikerInnen und die Spitzen der Staatsapparate – einen positiven Geldfetischismus. So sagen Bourgeois sowie die WirtschaftsprofessorInnen als deren Kopflanger gerne: „Geld muss arbeiten!“ Doch Geld kann nicht arbeiten, im Gegensatz zu den Lohnabhängigen, die tatsächlich arbeiten müssen, um leben zu können. Deren Arbeit vermehrt das Geld.
Kommen wir also zu den doppelt freien Lohnabhängigen und ihrer Ausbeutung im Produktionsprozess, Handel und in der privaten Dienstleistungsbranche – die Ausbeutung der Lohnarbeit durch den Staat beschreiben wir in den Kapiteln I.6 und I.9. Die Geldvermehrung durch KapitalistInnen ist die Aneignung des von Lohnabhängigen produzierten und realisierten Mehrwertes. In der Industrie, der kapitalistischen Agrarwirtschaft und in vielen Dienstleistungsbranchen wird der Mehrwert produziert. Die Arbeitszeit dieser Lohnabhängigen ist durch eine unsichtbare Grenze in eine selbstreproduktive Arbeitszeit und in eine Mehrarbeitszeit geteilt. In der selbstreproduktiven Arbeitszeit produzieren die Lohnabhängigen einen Tauschwert, der ihrem eigenen Lohn entspricht, den sie von den ProduktionsmittelbesitzerInnen ausgezahlt bekommen, während sie in der Mehrarbeitszeit einen Mehrwert produzieren, den sich ihre AusbeuterInnen aneignen. Auch übertragen die mehrwertproduzierenden Lohnabhängigen in ihrer gesamten Arbeitszeit den Tauschwert der Produktions- und Hilfsmittel auf das neu entstehende Produkt. Während die Arbeitsgegenstände (Rohstoffe und Halbfabrikate) preislich und stofflich voll im neuen Produkt aufgehen, behalten die Arbeitsmittel (Werkzeuge und Maschinen) im Produktionsprozess ihre gegenständliche Selbständigkeit und ihr Tauschwert wird stückweise auf die Waren übertragen, die während ihrer durchschnittlichen Funktionszeit – bis sie ersetzt werden – mit ihrer Hilfe hergestellt werden können (Abschreibung). LohnarbeiterInnen haben also den Gebrauchswert, dass sie für ihre AusbeuterInnen mehr Geld produzieren, als sie den EigentümerInnen der Produktionsmittel in Form des Lohnes kosten.
Die LohnarbeiterInnen sind real vom Produktionsprozess, ihrer eigenen Arbeitskraft, den Produktionsmitteln und den Produkten entfremdet. Nachdem die Lohnabhängigen ihre Arbeitskraft vermietet haben, verfügen im Produktionsprozess nicht sie selbst über diese, sondern das Kapital. Letzteres hat die LohnarbeiterInnen durch die Anmietung ihrer Arbeitskraft eingesaugt. Die Lohnabhängigen sind im Produktionsprozess selbst menschliches produktives Kapital, dass für die Bourgeoisie den Mehrwert produziert. Proletarisches Elend produziert kapitalistischen Reichtum. Nicht die Lohnabhängigen bestimmen den Produktionsprozess, sondern ihre AusbeuterInnen. Nein, nicht die Lohnabhängigen bestimmen die Arbeitsorganisation, sondern sie sind einer Hierarchie von ChefInnen und/oder digitaler Überwachungstechnik ausgesetzt. Unter dem Kommando des Kapitals sind sie die menschlichen Hauptproduktivkräfte dieser Klassengesellschaft. Ihre Produktivität wird zu der des Kapitals, dem sie unterworfen sind. Und da die Produktivkräfte im Kapitalismus zugleich Destruktivkräfte gegen Natur und Mensch sind, zerstören sich die Lohnabhängigen im kapitalistischen Produktionsprozess massenhaft selbst. Wer zählt die Millionen ArbeiterInnen, die in der Geschichte dieser tollen Gesellschaft in Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten vor die Hunde gingen, die bei der Arbeit von giftigen Substanzen vernichtet wurden, die sich regelrecht totarbeiteten? Unter dem Kommando des Kapitals bauen die LohnarbeiterInnen Uran ab, errichten Kohle- und Atomkraftwerke, die der Natur und den Menschen Schaden zufügen. Als menschliches produktives Kapital sind die LohnarbeiterInnen auch Zerstörungsmittel gegen sich selbst und ihre Mitwelt. Das ist der höchste Ausdruck der Entfremdung.
LohnarbeiterInnen fühlen sich oft nicht als subjektive Anwender der Produktionsmittel als Gegenständen, sondern als Anhängsel der Maschinen, die kapitalistisches Eigentum bilden, gegenständliches produktives Kapital. Die EigentümerInnen arbeiten nicht an den Maschinen und die ArbeiterInnen sind keine EigentümerInnen der Gegenstände ihrer Arbeit. Kapitalistische EigentümerInnen der Produktionsmittel wenden als personifiziertes Kapital die Lohnabhängigen an. Produktionsmittel beherrschen als kapitalistisches Eigentum die produzierenden lohnabhängigen Menschen. Und auch das, was sie produzieren, gehört nicht den Lohnabhängen, sondern ist als Warenkapital Eigentum ihrer AusbeuterInnen. So sind sie auch vom Produkt ihrer eigenen Arbeit entfremdet. Ihre AusbeuterInnen verkaufen das Produkt ihrer Arbeit beziehungsweise lassen es von ihren kommerziellen Lohnabhängigen verkaufen. Auf diese Weise verwandelt sich ihr Waren- in Geldkapital. Der größte Teil des Geldkapitals verwandelt sich erneut in gegenständliches produktives Kapital, die Produktionsmittel, um die kapitalistische Produktion am Laufen zu halten. Ein Teil des realisierten Geldkapitals stellt Mehrwert dar, den die Lohnabhängigen produziert haben und den sich die KapitalistInnen aneignen. Ein Teil des Mehrwertes verwandelt sich in neues produktives Kapital, mit ihm werden noch mehr Maschinen gekauft, Fabrikhallen gebaut und neue Arbeitskräfte angemietet, also zur Vermehrung des Kapitals verwendet. Den anderen Teil des Mehrwertes müssen die KapitalistInnen, deren Kapital produktiv angelegt ist, mit der Handels- und Finanzbourgeoisie sowie dem Staat teilen. Der dritte Teil des Mehrwertes wird von den „produktiven“ KapitalistInnen – in Wirklichkeit sind es die von ihnen ausgebeuteten LohnarbeiterInnen, die produktiv sind – konsumiert. Nur ein Teil von dem durch den Verkauf der Waren realisierten Geldkapital verwandelt sich also in Lohn für die ArbeiterInnen. Oft können sich die individuellen LohnarbeiterInnen nicht mal die Dinge leisten, die sie kollektiv unter dem Kommando des Kapitals produziert haben. Weder individuell noch kollektiv. So errichten BauarbeiterInnen Villen, in denen sie im Kapitalismus als ProletarierInnen niemals wohnen werden.
Auch die kommerziellen Lohnabhängigen des Kapitals, die keinen Mehrwert produzieren, sondern ihn im Auftrag des Kapitals realisieren helfen, werden ausgebeutet und sind entfremdet von ihrer Arbeit und den Handelsmitteln als kapitalistischem Eigentum. Das Handelskapital lebt im Industriekapitalismus, hauptsächlich von einem Teil des Mehrwertes, den die Industrie- und AgrararbeiterInnen produzieren. Die einzelnen Industrie- und Agrarkapitale verkaufen ihre Produkte meistens nicht selbst an ihre EndverbraucherInnen, sondern an das Handelskapital. Dadurch gelangen die Industrie- und AgrarkapitalistInnen schneller an ihr Geldkapital und Mehrwert. Für diese wichtige Dienstleistung des Handelskapitals verzichtet die Industrie- und Agrarbourgeoisie auf einen Teil ihres Mehrwertes, den „ihre“ ArbeiterInnen produziert haben. Die Handelsbourgeoisie kauft vordergründig die Waren von ihren kapitalistischen Herstellerfirmen für weniger Geld ein als sie sie an ihre KundInnen weiterverkaufen lassen. Den praktischen Verkauf übernehmen die kommerziellen Lohnabhängigen des Handelskapitals. Sie realisieren das Geldkapital praktisch. Ein Teil des realisierten Geldkapitals verwandelt sich durch den Ankauf neuer Waren wieder in Warenkapital, ein zweiter in Mehrwert für die Handelsbourgeoisie – diese benutzt ihn einerseits dazu, um das Geschäft zu erweitern, also zur Kapitalvermehrung, andererseits konsumiert sie ihn – und der dritte in Lohn für die Angestellten. Die Ausbeutung der kommerziellen Lohnabhängigen besteht darin, dass sie durch ihre Arbeit wesentlich mehr Geld realisieren, als ihnen dann als Lohn ausgezahlt wird.
Auch die kommerziellen Lohnabhängigen des Bankkapitals werden von ihrer Bourgeoisie ausgebeutet. Das Bankkapital handelt mit Geld. Es leiht Geld an Menschen und Institutionen. Diese müssen das Geld später zurückzahlen – mit einem Aufpreis, dem Zins. Der Zins ist der realisierte Mehrwert des Bankkapitals. Die Finanzbourgeoisie überlässt die praktische Vergabe der Kredite ihren Lohnabhängigen. Diese realisieren also das Geldkapital für ihre „Arbeitgeber“ (=Ausbeuter). Sie werden ausgebeutet, indem sie mehr Geld realisieren, als sie dann in Form ihres Lohnes erhalten. Das andere von ihnen realisierte Geld verwandelt sich in Kapital und Mehrwert der Finanzbourgeoisie. Doch wie gesagt, die lohnabhängigen Bankangestellten realisieren den Mehrwert nur für ihre Bosse, produzieren diesen aber nicht. Vergeben die Banken Investitionskredite an das Industrie-, Agrar-, Handels- und Dienstleistungskapital, so wird auf diese Weise deren Kapital rascher vermehrt. Die kapitalistischen KundInnen der Banken zahlen den Zins aus dem Mehrwert, den „ihre“ Lohnabhängigen für sie produziert und realisiert haben. Vergeben Banken KonsumentInnenkredite an Lohnabhängige, bezahlen diese die gegenwärtige Erhöhung ihres Konsums über ihren Geldlohn hinaus mit einer zukünftigen Reduzierung dieses Konsums. Denn sie müssen den Kredit mit samt den Zinsen aus ihren zukünftigen Geldlöhnen zurückzahlen. Auf diese Weise verwandelt sich ein Teil des Lohnes in Mehrwert, den sich das Bankkapital aneignet.
Außerdem gibt es auch privat dienende Lohnabhängige, die weder Tausch- noch Mehrwert, sondern „nur“ Gebrauchswert für ihre KundInnen produzieren. Stellen zum Beispiel Bourgeois und gehobene KleinbürgerInnen Kindermädchen direkt für ihren Nachwuchs ein, für den sie selbst kaum Zeit haben, so produzieren diese die Beaufsichtigung und die Beschäftigung der lieben Kleinen als Gebrauchswert. Geben jedoch die bürgerlichen KundInnen die Beaufsichtigung des Nachwuchses als Auftrag an eine privatkapitalistische Agentur weiter, die selbst Kindermädchen als Lohnabhängige einstellt, so produzieren letztere Tausch- und Mehrwert für das Dienstleistungskapital, dass sie ausbeutet.
Doch ProletarierInnen sind nicht nur kleinbürgerliche Marktsubjekte und Ausbeutungsobjekte, sie bilden auch ein kollektives Klassenkampfsubjekt mit revolutionären Tendenzen und Potenzen.Um die kapitalistische Ausbeutung aufzuheben, reicht es übrigens nicht aus ein paar Großkonzerne im Rahmen von Warenproduktion und Staat zu „vergesellschaften“, wie große Teile der kleinbürgerlichen Protestpolitik behaupten. Unter „Vergesellschaftung“ verstehen große Teile der politisierenden und protestierenden KleinbürgerInnen die Verstaatlichung oder die Kollektivierung der Produktionsmittel in Form von Genossenschaften. Doch Staatseigentum an industriellen Produktionsmitteln kann in der Praxis nur Staatskapitalismus sein und auch die von der kleinbürgerlichen Protestpolitik oft idealisierten oder selbst praktizierten Genossenschaften sind nichts anderes als kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion, die fließend in Kapitalgesellschaften übergehen. Die kleinbürgerliche Warenproduktion wird von der kleinbürgerlichen Protestpolitik so gut wie gar nicht kritisiert. Doch auch in der heutigen kleinbürgerlichen Warenproduktion und im Kleinhandel wird embryonal die Lohnarbeit kapitalistisch ausgebeutet. Wenn auch die produktions- und handelsmittelbesitzenden KleinbürgerInnen nicht vollständig von der Ausbeutung fremder Arbeit leben können und sie noch unmittelbar selbst körperlich aktiv werden müssen, sind sie doch in der Praxis KlassenfeindInnen des Proletariats. Nur Soloselbständige, also produktionsmittel- und handelsmittelbesitzende KleinbürgerInnen, die selbst keine Lohnarbeit ausbeuten, können wirkliche Verbündete des klassenkämpferischen Proletariats sein. Will dieses sich von der kapitalistischen Ausbeutung befreien, muss es also auch die kleinbürgerliche Warenproduktion aufheben.
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Weltgeschichtlich wurde die kapitalistische Produktionsweise zum ersten Mal in Europa zur sozial herrschenden. In der europäischen Übergansperiode vom Feudalismus zum Industriekapitalismus (11. Jahrhundert bis ca. 1780) entwickelten sich die ersten Ansätze einer kapitalistischen Mehrwertproduktion auf der Basis der Lohnarbeit. Diese Ansätze wollen wir hier kurz beschreiben. Ab dem 11. Jahrhundert entwickelte sich im Europa das Fernhandelskapital. Auch eine kleinbürgerlich-handwerkliche Warenproduktion bildete sich heraus. Zuerst beherrschte das europäische Handelskapital durch das Verlagssystem die Warenproduktion indirekt. Dieses bildete sich im 14. und 15. Jahrhundert heraus und erlebte im 16. Jahrhundert seine Blüte. Der Verkauf der eigenen Produkte auf den Lokalmärkten kostete den Handwerksmeistern Zeit, die ihnen bei der Produktion ihrer Waren fehlte. So verkauften immer mehr Handwerker ihre Produkte nicht an die EndverbraucherInnen, sondern an Kaufleute als Zwischenhändler. Das waren die Verleger. Die Verleger lieferten den Handwerksmeistern auch die Rohstoffe oder die Halbfabrikate, also den Arbeitsgegenstand. Manchmal ließen sich die Zwischenhändler die gelieferten Rohstoffe oder Halbfabrikate nicht bezahlen, so dass die Handwerksmeister bis zur Fertigherstellung der Produkte zu den Schuldnern der Verleger wurden. Letztere zogen die Kosten des Arbeitsgegenstandes dann bei der Abholung der Waren bei den Handwerksmeistern ab. Das Verlagssystem war ein kapitalistisches Vertriebssystem, aber noch kein kapitalistisches Produktionsverhältnis.
Dagegen waren die Manufakturen, die sich zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert in Europa entwickelten, Orte der kapitalistischen Warenproduktion. In den Manufakturen wurden bereits LohnarbeiterInnen direkt durch das Kapital ausgebeutet. Sie wurden zentral in einem Haus oder mehreren Häusern als Produktionseinheit zusammengefasst. Neben den Lohnabhängigen in zentralen Arbeitsstätten beuteten die ManufakturkapitalistInnen auch formal selbständige HeimarbeiterInnen aus, die ihnen die Vorprodukte lieferten. Mensch muss klar zwischen den HeimarbeiterInnen unterscheiden, die im Verlagssystem ausgebeutet wurden und jenen, die für Manufakturen arbeiteten. Der Verleger war ein Handelskapitalist, während die Manufakturen produktives Kapital darstellten.
Technologisch beruhte die Manufaktur noch auf dem Handwerk. Der handwerkliche Produktionsprozess wurde jedoch in der Manufaktur in kleine Einzelarbeitsschritte zerlegt, die zu speziellen Funktionen von bestimmten ManufakturarbeiterInnen wurden. Produzierten die Handwerker der kleinbürgerlichen Warenproduktion selbständig das ganze Produkt dieser Produktionseinheit, so waren ManufakturarbeiterInnen TeilarbeiterInnen. Einige ArbeiterInnen stellten per Hand Teile des Produkts her, die andere ArbeiterInnen dann zum Endprodukt zusammenfügten. Die Spezialisierung der einzelnen Arbeitsschritte in der kapitalistischen Manufaktur ging mit einer Spezialisierung der Werkzeuge einher.
Die Manufakturen stellten bereits Formen der kapitalistischen Warenproduktion dar. Doch in der europäischen Manufakturperiode vom 16. bis zum 18. Jahrhundert herrschte die kapitalistische Produktionsweise noch nicht. Das Verlagswesen, welches auf der Ausbeutung von formal selbständigen Handwerkern durch das Handelskapital beruhte, war verbreiteter als die Manufakturen. Erst in Form von technologisch auf die Maschinerie basierenden Fabriken ab ca. 1780 in England konnte der Kapitalismus zur alles andere totalitär beherrschenden Produktionsweise werden.
Der junge Industriekapitalismus koexistierte auf dem amerikanischen Doppelkontinent eine relativ lange Zeit mit dem seit dem 16. Jahrhundert bestehenden Agrarkapitalismus, der auf der Plantagensklaverei beruhte. Versklavte AfrikanerInnen produzierten für ihre BesitzerInnen kapitalistischen Mehrwert. Diese Mehrwertproduktion auf der Basis der kapitalistischen Sklaverei wurde zuerst vom europäischen Kolonialismus und dann von den jungen amerikanischen Nationalstaaten USA und Brasilien organisiert. Der britische Imperialismus verbot die Sklaverei in der von ihm beherrschten Karibik im Jahre 1838. In den USA wurde die Sklaverei auf industriekapitalistisch-sozialreaktionäre Weise durch das Gemetzel des BürgerInnenkrieges (1861-1865) aufgehoben. Brasilien verbot die Sklaverei im Jahre 1889. Indem die bürgerlichen Staaten die Sklaverei schließlich aufhoben, griffen sie durchaus interventionistisch in die Wirtschaft ein. Ab 1873 regulierten sie auch immer stärker die kapitalistische Produktionsweise auf Basis der Lohnarbeit. Der Industriekapitalismus der relativ freien Konkurrenz wurde durch ungezügelte Brutalität groß – aber auf diese grobschlächtige Weise wäre er nicht alt geworden. Weshalb sich der Staatsinterventionismus herausentwickelte (siehe Kapitel I.10).
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