2. Die geschichtliche Entwicklung von Tausch- und Mehrwertproduktion vor dem Industriekapitalismus
Die Warenproduktion entwickelte sich bereits in den vorindustriekapitalistischen Klassengesellschaften. Warenproduktion ist Produktion der Güter für den Austausch mit Geld als dem allgemein anerkannten Ausdruck des verselbständigten Tauschwertes. Voneinander getrennte kleinbürgerliche oder kapitalistische Wirtschafseinheiten tauschen ihre Produkte mit Hilfe des Geldes aus. Die Urgesellschaft bestand noch nicht aus voneinander getrennten Wirtschaftseinheiten. Innerhalb der Stämme der JägerInnen, SammlerInnen und FischerInnen wurden die Produkte nicht getauscht, sondern gesamtgesellschaftlich verteilt. Die Produkte hatten einen Gebrauchswert, verkörpert in ihren nützlichen Eigenschaften, und einen Arbeits- beziehungsweise einen Produktionswert, verkörpert in der durchschnittlichen, gesellschaftlich notwendigen Herstellungszeit, aber noch keinen Tauschwert. Waren haben auch einen Gebrauchs- und Produktionswert, aber zusätzlich noch einen Tauschwert. Der Tauschwert einer Ware drückt im Naturaltausch aus, wie viel andere Produkte mit ihr einzutauschen sind. In der kleinbürgerlichen Warenproduktion von städtischen HandwerkerInnen auf der Basis des Privateigentums an den Produktionsmitteln werden die Waren schon in Geld eingetauscht. Der Preis ist der Geldausdruck des Tauschwertes. Im Geld bekommt der Tauschwert der Waren seinen verselbständigten Ausdruck. Die Warenpreise werden sowohl von dem Produktionswert, also ihren durchschnittlichen, gesellschaftlich notwendigen Herstellungszeiten als auch durch die Marktkonkurrenz in Form von Angebot und Nachfrage bestimmt.
Schauen wir uns jetzt grob die Entwicklung von Tauschwert- und Mehrwertproduktion vor dem Industriekapitalismus an. Der Urkommunismus war weltgeschichtlich gesehen zwar eine klassen- und staatenlose Gesellschaft, aber von der Haupttendenz her werdende Klassengesellschaft. Ein großer Unterschied der möglichen zukünftigen klassen- und staatenlosen Gesellschaft zum Urkommunismus wird der sein, dass die erstere auf mehr oder weniger autonomen Stämmen beruhte, während der nachkapitalistische Kommunismus notwendigerweise eine Weltgemeinschaft hervorbringen muss. Nur als solidarische Weltgemeinschaft kann die mögliche globale klassen- und staatenlose Gesellschaft Krieg und den Handel als institutionalisierte Ware-Geld-Beziehung aufheben. Die Stämme der Urgesellschaft führten gegeneinander Krieg und im Frieden einen sich entwickelnden Handel miteinander. Beides sind Ausdrücke dafür, dass die kollektiv-solidarische Gemeinschaftlichkeit des Urkommunismus kaum über den Stamm hinausging. Natürlich wird auch die zukünftige mögliche klassen- und staatenlose Gesellschaft auf kleinere lokale Einheiten beruhen, aber diese werden nicht voneinander isoliert sein, sondern eine kollektiv-solidarische Weltgemeinschaft bilden. Diese Weltgemeinschaft braucht moderne Verkehrs- und Kommunikationsmittel als materiell-technische Basis. Auch dies ist ein Grund, warum der zukünftige nachkapitalistische Kommunismus nur auf einer hohen Produktivität beruhen kann. Wegen dem niedrigen Stand der technologischen Produktivkräfte haben im Urkommunismus die Stämme verschiedener und weit voneinander entfernter Kontinente – zum Beispiel die in Europa und in Australien – nichts voneinander gewusst. Es gab trotz der großen sozialen Gleichheit bereits in den urkommunistischen Gesellschaften der JägerInnen und SammlerInnen weltliche (Häuptlinge) und geistige (SchamanInnen, Medizinmänner/frauen und PriesterInnen) Würdenträger. Diese konnten sich aber wegen der niedrigen Arbeitsproduktivität dieser Gesellschaften noch nicht zu einer herrschenden Klasse entwickeln. Denn herrschende Klassen (zum Beispiel: antike SklavInnenhalter, Feudalherren, KapitalistInnen) arbeiten nicht mehr unmittelbar selbst körperlich-praktisch, sondern leben von der Ausbeutung der unmittelbaren ProduzentInnen (zum Beispiel: SklavInnen, hörige und leibeigene BäuerInnen, LohnarbeiterInnen). In einer Klassengesellschaft müssen also die unmittelbaren ProduzentInnen über das Produkt, welches für ihre eigene biosoziale Reproduktion notwendig ist, hinaus ein Mehrprodukt herstellen, dass sich die jeweils herrschende Klasse aneignet. Die Arbeitsproduktivität von urkommunistischen Gesellschaften von JägerInnen, SammlerInnen und FischerInnen war zu gering, um ein ständiges Mehrprodukt hervorbringen zu können, von dem eine herrschende Klasse hätte leben können.
Durch die so genannte „neolithische Revolution der Produktivkräfte“, der Übergang der menschlichen Gesellschaften zu Ackerbau und Viehzucht, entwickelte sich die ökonomische Voraussetzung der Entwicklung der Klassengesellschaft: Die Möglichkeit eines ständigen Mehrproduktes, welches sich eine nicht mehr selbst unmittelbar körperlich arbeitende herrschende Klasse aneignen konnte. Der Übergang zu einer Gesellschaft von AckerbäuerInnen und ViehzüchterInnen war ein Entwicklungsprozess, der mehrere Jahrtausende dauerte. Einige menschliche Gesellschaften in Eurasien, Afrika, Amerika und die gesamte Urbevölkerung Australiens machten diesen Entwicklungsprozess nicht selbständig durch. Weltgeschichtlich entwickelte sich der Übergang zu Ackerbau und Viehzucht zuerst im 10. Jahrtausend vor der christlichen Zeitrechnung in Vorderasien. In Süd- und Mitteleuropa entwickelte er sich zwischen 7500 und 4000 Jahren vor der christlichen Zeitrechnung, während sich dieser Prozess in Teilen Mittelamerikas zwischen 5100 und 4200 vor unserer Zeitrechnung entfaltete.
Mit dem Ackerbau und der Viehzucht zersetzte sich der Urkommunismus und es bildete sich eine Klassengesellschaft heraus. Die Übergangsgesellschaft vom Urkommunismus zur frühen Klassengesellschaft nannte der Marxismus-Leninismus „militärische Demokratie“, während sie die bürgerliche Ethnologie als „Häuptlingstum“ bezeichnet. Beispiele für einen zerfallenden Urkommunismus beziehungsweise einer sich langsam entwickelnden Klassengesellschaft waren die GermanInnen zur Zeit des antiken Römischen Reiches und einige Stämme der nordamerikanischen UreinwohnerInnen.
Merkmale der „militärischen Demokratie“ beziehungsweise des „Häuptlingstums“ sind, dass privilegierte Funktionen wie die von Häuptlingen oder von Medizinmännern/Schamanen/Priestern erblich werden. Begünstigt wurde eine entstehende Klassengesellschaft durch Erscheinungen, die einen wachsenden Zentralismus erforderten: zum Beispiel die künstliche Bewässerung oder permanente militärische Auseinandersetzungen mit anderen Gemeinschaften – besonders mit bereits existierenden Klassengesellschaften. Zum ersten Mal entwickelte sich eine Übergangsgesellschaft vom Urkommunismus zu einer frühen Klassengesellschaft im Vorderen Orient auf der Grundlage eines ausgebildeten Regenfeldbaus seit dem 8./7. Jahrtausend vor der christlichen Zeitrechnung. Dort bildete sich eine Priesterherrschaft heraus.
In einer solchen Übergangsgesellschaft vom Urkommunismus zur Klassengesellschaft gab es bereits große soziale Unterschiede zwischen Jung und Alt, Männern und Frauen – die ersteren entwickelten sich immer stärker zu den Unterdrückern der letztgenannten –, geistig-leitender und körperlich-ausführender Tätigkeit, mehr und weniger ökonomisch erfolgreichen Mitgliedern des Stammes. Die zunehmenden sozialen Widersprüche verlangten nach einem scheinbar neutralen Schiedsrichter. Diese Rolle wurde von zunehmend privilegierten Häuptlingen und Medizinmännern/SchamanInnen/PriesterInnen ausgeübt. Aber diese Privilegierten konnten sich noch nicht auf einen Staat – also einen politischen Gewaltapparat – stützen. Der zerfallende Urkommunismus war keine klassenlose Gesellschaft mehr – aber eben auch noch nicht in Form des Staates zur Klassengesellschaft versteinert. Friedrich Engels beschrieb die soziale Organisation einer solchen Gesellschaft so: „Heerführer, Rat, Volksversammlung bilden die Organe der zu einer militärischen Demokratie fortentwickelten Gentilgesellschaft. Militärisch – denn der Krieg und die Organisation zum Krieg sind jetzt regelmäßige Funktionen des Volkslebens geworden.“ (Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, S. 159.)
Sozialökonomisch beruhte die „militärische Demokratie“ oder das „Häuptlingstum“ auf dem gemeinsamen Besitz von Boden (Ackerland, Viehweiden und Wald) sowie Gewässern durch Stämme oder Dorfgemeinschaften. Sehen wir uns dies bei den GermanInnen in der Periode der „militärischen Demokratie“ genauer an. Viehweiden und Wald befanden sich ganz und ungeteilt im Besitz der germanischen Dorfgemeinschaft, der Mark. Die Ackerfelder verblieben zwar formal im Besitz der Dorfgemeinschaft, gerieten aber durch Verlosung in die Verfügungsgewalt der bereits patriarchalen Einzelfamilien. Die einzelfamiliäre Verfügungsgewalt über das Ackerland war noch kein Privateigentum, aber eine Vorstufe dazu. Das Ackerland wurde in der Periode der „militärischen Demokratie“ bei den Germanen noch nach einiger Zeit umverteilt, also neuverlost. Diese Verlosung von Ackerland hielt sich in einigen Gemeinden der Bayrischen Pfalz und am Rhein noch bis in das 19. Jahrhundert. An der Spitze der germanischen Markgenossenschaft stand der Dorfgraf oder Schultheiß, in bestimmten Gegenden auch Markmeister oder Centener genannt. Am Anfang bestand noch eine Wählbarkeit dieser privilegierten Funktion, sie wurde aber mit der zunehmenden Auflösung des Urkommunismus erblich.
Bei den GermanInnen transformierte sich die „militärische Demokratie“ in den Feudalismus. Davor transformierte sich bei den GriechInnen und den RömerInnen der sich auflösende Urkommunismus in die SklavInnenhaltergesellschaft. In Griechenland bildete sich die antike Sklaverei zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert und in Rom zwischen dem 7. und dem 5. Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung heraus. Doch die weltgeschichtlich erste Transformation von der „militärischen Demokratie“ zur staatlich organisierten Klassengesellschaft entwickelte sich im Vorderen Orient seit dem Ende des 4. Jahrtausends vor der christlichen Zeitrechnung. Sozialökonomisch beruhte diese Klassengesellschaft teilweise auf dem Gemeineigentum des Stammes oder der Dorfgemeinde an agrarischer Nutzfläche, welches sich aber in einigen Gebieten schließlich in Staatseigentum transformierte. Das Gemeineigentum an Grund und Boden als Restbestandteil des Urkommunismus war aber bereits von der entstehenden Klassengesellschaft deformiert, während Staatseigentum an Produktionsmitteln grundsätzlich ein sozialreaktionärer Ausdruck der Klassenherrschaft ist – einschließlich des von marxistisch-leninistischen Politbonzen beherrschten „sozialistischen“ Staatskapitalismus. Aber egal, ob in der frühen Klassengesellschaft der Grund und Boden noch formal Stammes- oder Dorfeigentum (Indien), oder bereits auch offiziell Staatseigentum (Ägypten) war: Die Produktion – besonders die künstliche Bewässerung – wurde vom Staat als politischen Gewaltapparat organisiert. Die den Staat beherrschenden BerufspolitikerInnen und -ideologInnen (PriesterInnen) sowie hohen Staatsbeamten eigneten sich als herrschende Klasse das gesellschaftliche Mehrprodukt an, dass sie teilweise zur Erweiterung der Produktion und zum anderen Teil zu einer privilegierten Konsumtion nutzten. Eine ähnliche frühe Klassengesellschaft bildete sich in Mittel- und Südamerika bei den Azteken (14.-16. Jahrhundert) und Inka (13. bis 16. Jahrhundert) heraus, die vom spanischen Kolonialismus zerschlagen wurde. Der Marxismus bezeichnet die weltgeschichtlich früheste Klassengesellschaft auch als „asiatische Produktionsweise“, was insofern irreführend ist, weil sie sich auf fast allen Kontinenten – bis auf Australien, wo es bis zur europäischen Kolonialisierung noch den Urkommunismus gab – entwickelt hatte.
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Bereits in der Urgesellschaft und in den Häuptlingstümern entwickelte sich der Naturaltausch heraus. Die Entwicklung der kleinbürgerlichen Warenproduktion und ein kapitalistischer Handel vollzog sich bereits in der staatszentrierten Klassengesellschaft der Azteken – im Gegensatz zu der weitgehend tauschwertlosen im alten Ägypten, im Mesopotamien und im Inka-Staat – heraus. Handelskapitalistisch ist die Vermehrung des Geldes, indem Waren teurer verkauft als sie eingekauft werden. Das Handelskapital bildete sich in vorindustriekapitalistischen Klassengesellschaften im Fernhandel heraus. Der Handelsprofit basierte auf der Dienstleistung der Ortsveränderung der Waren, der Intransparenz der Märkte sowie auf Betrug und Gewalt.
In der römisch-griechischen Antike bildete sich bereits eine kapitalistische Warenproduktion auf der Basis der Sklaverei heraus. Eine kapitalistische Warenproduktion unterscheidet sich von der kleinbürgerlichen, dass die EigentümerInnen der Produktionsmittel nicht mehr unmittelbar-körperlich produktiv tätig sind, sondern vollständig von der Ausbeutung der unmittelbaren ProduzentInnen leben. Diese Ansätze einer kapitalistischen Warenproduktion entwickelten sich sowohl in der Landwirtschaft – auf Latifundien als einer Form des Großgrundbesitzes – als auch im Bergwerk und in der Handwerksproduktion. Die damaligen KapitalistInnen kauften oder mieteten SklavInnen, damit diese ihnen Mehrwert in Form von Geld produzierten. Die Arbeitszeit der SklavInnen war durch eine unsichtbare Grenze geteilt in eine selbstreproduktive Arbeitszeit, in der sie einen Tauschwert produzierten, der den Kosten ihrer Lebensmittel entsprach, während sie in der Mehrarbeitszeit einen Mehrwert produzierten, die sich ihre Ausbeuter, die SklavInnenhalter aneigneten. Der Kaufpreis der SklavInnen wurde erst in einem längeren Produktions- und Ausbeutungsprozess von diesen erarbeitet, so dass sich die SklavInnenhalter einen Tauschwert aneignen konnten, der diesen ursprünglichen Kosten entsprach. In der gesamten Arbeitszeit übertrugen die SklavInnen den Tauschwert der Produktionsmittel auf das neu entstehende Produkt. Während die Arbeitsgegenstände (Rohstoffe und Halbfabrikate) stofflich und tauschwertmäßig voll im neuen Produkt aufgingen, behielten die Werkzeuge im Produktionsprozess ihre gegenständliche Unabhängigkeit und ihr Tauschwert übertrug sich nach und nach auf die Produkte, die durchschnittlich mit ihrer Hilfe bis zu ihrem Verschleiß hergestellt werden konnten. Die SklavInnen waren menschliches produktives Kapital, die mit Hilfe der Werkzeuge als gegenständlichen produktivem Kapital Warenkapital produzierten. Indem die SklavInnenhalter die Waren verkauften, wandelte sich ihr Warenkapital in Geldkapital um, einschließlich des Mehrwertes in Geldform, den sie sich aneigneten. Diesen Mehrwert konsumierten sie teilweise, teilweise erweiterten sie mit ihm das Kapital, indem sie mehr SklavInnen und Werkzeuge kauften, damit noch mehr Mehrwert produziert werden konnte (siehe Nelke, SklavInnen und LohnarbeiterInnen, Soziale Befreiung 2021, S. 34/35).
Doch in der griechisch-römischen Antike herrschte die kapitalistische Produktionsweise nicht. Erstens beruhte die kapitalistische Warenproduktion der griechisch-römischen Antike technologisch noch überwiegend auf dem Handwerk und noch nicht auf der Maschinerie wie im Industriekapitalismus. Zweitens waren die meisten Produkte, die Agrargüter, keine Waren, sondern wurden von KleinbäuerInnen zur Selbstversorgung produziert, nur ein kleiner Überschuss wurde auf den Märkten verkauft. Drittens war die unaufhörliche und grenzenlose Vermehrung des Kapitals in der griechisch-römischen Antike noch nicht das alles andere totalitär beherrschende Prinzip. So war die kapitalistische Warenproduktion in der griechisch-römischen Antike keine herrschende Produktionsweise, sondern nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine stark ausgeprägte Entwicklungstendenz. Doch diese wurde in Europa durch den Untergang des weströmischen Reiches im Jahre 476 und durch die nachfolgende Entwicklung des europäischen Feudalismus erst mal beendet.
Während der globalen Übergangsperiode zur industriekapitalistischen Warenproduktion entwickelte sich neben dem in Amerika auch ein afrikanischer Handels- und Plantagenkapitalismus, der auf der Sklaverei beruhte. So war der Handel in Westafrika seit Jahrhunderten vor dem europäischen Kolonialismus auf einem sehr hohen Niveau. Dort überlappten sich lokale, regionale und internationale Handelsnetze spezialisierter Kaufleute. Der Anteil der SklavInnen an der Gesamtbevölkerung betrug in manchen Regionen Westafrikas im 19. Jahrhundert bis zu 50 Prozent. Da männliche und kindliche Sklaven überwiegend nach Amerika weiterverkauft wurden, gab es in Westafrika überproportional viele Sklavinnen. So wurde die Polygamie in Westafrika begünstigt. Durch die europäisch-osmanisch-amerikanischen Verbote der Sklaverei im 19. Jahrhundert ging in Westafrika die Nachfrage nach SklavInnen für den Export langsam zurück und es entstand ein Überangebot an diesen menschlichen Handelsobjekten. Im Reich von Samori Touré (Guinea) entwickelte sich in den 1870er und den 1880er Jahren eine kapitalistische Plantagenwirtschaft auf der Grundlage der Sklaverei, die auch von der Politik unterstützt wurde. Auch im Sokoto-Reich (Nordnigeria, Südniker) im Zentralsudan förderte die politische Herrschaft die kapitalistische Sklaverei auf den Plantagen. Der Staat versorgte dort selbst die Plantagen mit SklavInnen. Im Reich Bornu, weiter nördlich am Tschadsee gelegen, nahm die Anzahl der SklavInnen ebenfalls zu. Dort wurden die Enklaven nichtmuslimischer Bevölkerungen zum bevorzugten Ort der Jagt auf SklavInnen.
Die auf den Plantagen von den SklavInnen gewonnenen Produkte waren größtenteils für den afrikanischen Markt bestimmt. SklavInnen in Westafrika stellten nicht nur Agrarprodukte her, sondern sie wurden auch in Manufakturen ausgebeutet. In diesen wurden Textilien für den Export nach ganz Westafrika produziert. So arbeiteten am Ende des 19. Jahrhunderts in der kommerziellen Metropole des Zentralsudan, Kano, 50.000 TextilfärberInnen. Die Anzahl der SklavInnen, die Stoffe webten und Garne spannten, muss logischerweise noch viel höher gewesen sein. Die auf kapitalistischer Sklaverei beruhende Textilindustrie dieses Gebietes konnte es durchaus mit der europäischen Konkurrenz aufnehmen und versorgte große Teile des westlichen Afrikas mit ihren Waren. Die Yoruba-Stadtstaaten im Waldland in Küstennähe stellten ähnlich wie das Königreich Dahomey ihre Ökonomie vom SklavInnen- auf den Palmölhandel um, wobei das letztgenannte Produkt auf SklavInnenarbeit – sowohl in der Produktion als auch der TrägerInnen beim Export – beruhte. In Abomey, der Hauptstadt von Dahomey, waren ein Drittel der 30.000 EinwohnerInnen SklavInnen, während in Ibadan, der größten westafrikanischen Stadt mit 70.000 EinwohnerInnen, es in den 1860er und 1870er Jahren mehr als einhundert kapitalistische UnternehmerInnen gab, von denen jeder mehr als 500 SklavInnen besaß.
Die sozialökonomische Grundlage der kapitalistischen Plantagensklaverei in Westafrika beruhte nicht nur auf ein Überangebot an SklavInnen bei schrumpfenden Exportmärkten, sondern auch auf der Knappheit an Arbeitskräften in diesem Gebiet. Der auf der Sklaverei beruhende westafrikanische Plantagenkapitalismus machte deutlicher als sein amerikanisches Gegenstück, dass es bei dieser um sozialökonomische Ausbeutung ging. Denn hier hatten anders als in Amerika die SklavInnen und deren AusbeuterInnen die gleiche Hautfarbe.
Auch an der ostafrikanischen Küste entwickelte sich innerhalb der so genannten Swahili-Zivilisationeine eigenständige Form der auf Sklaverei basierenden kapitalistischen Warenproduktion – noch vor der europäischen Kolonialisierung Amerikas – heraus. An der ostafrikanischen Küste entwickelte sich über dem Indischen Ozean der Handel mit China – vom 7. Jahrhundert bis der chinesische Zentralstaat ab den 1430er Jahren den Fernhandel einschränkte –, Arabien und Persien. Das geschichtliche Kerngebiet der Swahili-Zivilisation erstreckte sich an einem zirka 3500 Kilometer langen Streifen entlang der ostafrikanischen Küste. Es reichte von Somalia im Norden bis zum heutigen Staat Mosambik im Süden. Die sozialökonomischen, politischen und geistig-mentalen Grundlagen der Swahili-Zivilisation unterschied sich seit Ende des ersten Jahrtausends der christlichen Zeitrechnung deutlich vom ostafrikanischen Binnenland. Erst die handelskapitalistische und koloniale Durchdringung Ostafrikas durch den „weißen“ Imperialismus im 19. Jahrhundert führte wieder zu einer gewissen Annäherung. Während die Menschen des ostafrikanischen Inlandes entweder in urkommunistischen Gemeinschaften von JägerInnen und SammlerInnen oder in Agrargesellschaften von BäuerInnen und HirtInnen lebten, entwickelten sich entlang des Küstenstreifens der Handelskapitalismus und eine auf Sklaverei basierende Warenproduktion.
Arno Sonderegger schrieb über die an der ostafrikanischen Küste herrschende Klasse von GroßgrundbesitzerInnen, die eine auf Sklaverei basierende Warenproduktion ausbeuteten: „Sie agierten als große Grundherren, die in der Umgebung der Städte Ländereien besaßen, auf denen Sklaven und Sklavinnen Hirse, Baumwolle, Früchte und Gemüse anbauen mussten – sowohl für die regionalen Märkte als auch für den Exporthandel.“ (Arno Sonderegger, Kurze Geschichte des alten Afrika, marixverlag, Wiesbaden 2017, S. 173.)
In der sich ab dem 3. Jahrhundert in Asien und Europa durchsetzenden Feudalgesellschaft entwickelten sich ebenfalls die Ansätze eines Handels und einer kapitalistischen Warenproduktion – jetzt aber vorwiegend auf der Basis der Lohnarbeit. Im asiatischen Feudalismus waren die kapitalistischen Tendenzen zuerst stärker als im europäischen. Doch in Europa konnten sie sich zuerst vollständig als ein herrschendes Produktionsverhältnis durchsetzen (siehe Kapitel I.7).
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