2. Der utopische ArbeiterInnenkommunismus
Der utopische ArbeiterInnenkommunismus entwickelte sich zu Beginn der Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts heraus. Zu dieser Zeit bestand nur in Großbritannien eine entwickelte kapitalistische Großindustrie. Das europäische Festland war noch stark von Kleinproduktion geprägt, so bestand auch die soziale Hauptbasis des utopischen ArbeiterInnenkommunismus aus Handwerksgesellen. Letztere standen sozial zwischen KleinbürgerInnentum und modernem Industrieproletariat. Der utopische ArbeiterInnenkommunismus war der geistige Ausdruck einer Zeit, in der der Klassengegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat schon deutlich zu spüren war, aber die praktischen Erfahrungen des Klassenkampfes noch sehr gering waren. Seine progressivste Tendenz war deshalb seine Kapitalismuskritik, während die von ihm vorgeschlagenen Lösungen nur unreif sein konnten.
Er bestand aus einem reformistisch-genossenschaftlichen, einem syndikalistisch-antipolitischen und einem politisch-umstürzlerischen Flügel. Die Owenisten strebten die massenhafte Gründung von GenossInnenschaften an. Letztere sollten das Kapital aufkaufen oder niederkonkurrieren. Inzwischen haben sich die GenossInnenschaften als eine kleinbürgerlich-kollektive Form der Warenproduktion herausentwickelt, die Übergänge in Kapitalgesellschaften sind sehr fließend. Eine Verklärung der GenossInnenschaften hat sich bis heute im Parteimarxismus, Anarchosyndikalismus und kommunistischen Anarchismus (Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Erich Mühsam) gehalten. Beim letzteren ist diese Idealisierung der GenossInnenschaften mit einer Verklärung der BäuerInnen verbunden. Doch diese beuten im Kapitalismus schon embryonal die Lohnarbeit des Landproletariats aus und gehen fließend in die großbäuerliche Agrarbourgeoisie über.
Die antipolitisch-syndikalistische Richtung (James E. Smith, James Morrison) des utopischen ArbeiterInnenkommunismus strebte die Bekämpfung des Kapitalismus durch machtvolle Gewerkschaften an. Doch Gewerkschaften entpuppten sich im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung als bürokratisch entfremdete Formen des reproduktiven Klassenkampfes innerhalb des Kapitalismus. Allerdings hatte der Syndikalismus sehr gesunde antipolitische Tendenzen. Die syndikalistische Tendenz des utopischen ArbeiterInnenkommunismus war die Mutter des Anarchosyndikalismus. Dieser behauptet noch heute, er würde „revolutionäre Gewerkschaften“ aufbauen. Dabei ist gerade die Geschichte des Anarchosyndikalismus der Beweis dafür, dass es keine „revolutionären Gewerkschaften“ geben kann (siehe Kapitel II.5). Der heutige Kommunismus übernimmt die antipolitischen Tendenzen des frühen Syndikalismus, verbindet sie aber mit einer konsequenten Gewerkschaftsfeindlichkeit.
Dagegen war die politische Tendenz des utopischen ArbeiterInnenkommunismus die ideologische Mutter des Parteimarxismus (frühe Sozialdemokratie bis 1914 und Leninismus). Sie war schon damals in einen reformistischen und objektiv putschistischen (subjektiv „revolutionären“) Flügel gespalten. Politik ist die staatsförmige Organisation der Klassengesellschaft. Der Staat ist grundsätzlich sozialreaktionär. Wenn er sich in der globalen Konkurrenz nur annähernd behaupten will, muss er im Industriezeitalter ein bürgerlicher Nationalstaat sein. Eine sozialemanzipatorische Gesellschaft kann nur eine staatenlose sein. Deshalb kann der Kommunismus nur absolut staatsfeindlich und antipolitisch sein. Dies können wir heute aufgrund der praktischen Klassenkampferfahrungen des globalen Proletariats ganz deutlich sagen.
Dem utopischen ArbeiterInnenkommunismus fehlten noch diese praktischen Erfahrungen. Heute müssen wir ganz klar feststellen, dass die politische Orientierung von Teilen des utopischen ArbeiterInnenkommunismus objektiv eine antikommunistische Tendenz war. Der politisch-reformistische Flügel (William Lovett, Henry Hetherington und Etienne Cabet) orientierte auf das allgemeine Wahlrecht, was es damals auch in den parlamentarischen Demokratien noch nicht gab, damit PolitikerInnen im Interesse der ArbeiterInnenklasse Sozialreformen durchsetzen konnten. Dieser Flügel des utopischen ArbeiterInnenkommunismus war objektiv eine Strömung des parlamentarischen Sozialreformismus.
In der zweiten Hälfte der 1830er Jahre trennte sich eine objektiv putschistische, subjektiv revolutionäre Richtung von der parlamentarisch-sozialreformistischen. Sie strebte den Kampf um die politische Macht in Form von Aufständen an. Das war objektiv antikommunistisch, denn der Kommunismus kann die politische Macht gar nicht erobern – dann kann er nur sozialreaktionär in Antikommunismus umschlagen –, sondern nur durch die antipolitische Zerschlagung des Staates zur materiellen Gewalt werden. Eine proletarische Avantgardeorganisation sollte diesen objektiv sozialreaktionären Kampf um die politische Macht führen. In Frankreich bildete sich die konspirativ illegale Sociéte des Saisons (Gesellschaft der Jahreszeiten), in Deutschland der Bund der Gerechten. Diese Organisationen orientierten auf eine politische Übergangsdiktatur, welche die politischen Schranken der sozialen Ausbeutung und Unterdrückung niederreißen sollten. Doch eine politische Staatsdiktatur kann die kapitalistische Ausbeutung nur reproduzieren, nur die antipolitische Diktatur des Proletariats, die den Staat zerschlägt und in die klassen- und staatenlose Gesellschaft übergeht, ist wirklich antikapitalistisch. Aber das können wir heute ganz deutlich sagen, weil wir inzwischen genug praktische Erfahrungen mit regierenden „kommunistischen“ Politbonzen hatten. Diese praktischen Erfahrungen hatte der utopische ArbeiterInnenkommunismus noch nicht. Wichtige Theoretiker des objektiv putschistischen Flügels des utopischen ArbeiterInnenkommunismus waren Louis-Auguste Blanqui, Théodore Dézamy und Wilhelm Weitling.
Der Bund der Gerechten entstand zwischen 1836 und 1838 durch die Abspaltung des proletarischen Flügels von dem bürgerlich-republikanischen Bund der Geächteten. Er bestand zum größten Teil aus wandernden proletarischen Handwerksgesellen und war übernational organisiert. Es gab Bundesgemeinden in Frankreich, wo sich auch bis zum Herbst 1846 die Bundesleitung befand, in Deutschland, später in England und in der Schweiz. Das Programm des Bundes schrieb Wilhelm Weitling 1839 in Form des Textes Die Menschheit, wie sie ist, und wie sie sein sollte. Weitling und mit ihm der Bund der Gerechten bekannten sich in dieser Schrift zur kommunistischen Gütergemeinschaft und zur Tatsache, dass das Proletariat bei seiner sozialen Befreiung nur seiner eigenen Kraft vertrauen kann. Neben der subjektiv revolutionären, aber objektiv putschistischen Tendenz, gab es noch eine objektiv parlamentarisch-sozialreformistischen Flügel im Bund der Gerechten.
1839 beteiligte sich der Bund der Gerechten durch seine Pariser Gemeinde am putschistischen Kampf um die politische Staatsmacht in Paris, der von dem utopischen Kommunisten Lois-Auguste Blanqui und der von ihm geführten geheimen Gesellschaft der Jahreszeiten organisiert wurde. Dieser versuchte Putsch scheiterte jedoch. Infolgedessen wurden die führenden Mitglieder des Bundes der Gerechten aus Frankreich ausgewiesen. Jetzt verlagerte sich der Schwerpunkt des Bundes nach England. In London gründete die konspirative Geheimorganisation 1840 einen öffentlichen Arbeiterbildungsverein. Dieser wandelte sich ebenso wie der Bund der Gerechten in eine übernationale ArbeiterInnenorganisation. In den 1840er Jahren transformierte sich der utopisch-kommunistische Bund der Gerechten in den marxistischen Bund der Kommunisten.
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